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Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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beschrieben hatte. Rohan fragte sich, wo Sioned das Ritual in Skybowl abhalten würde. Stronghold hatte für solche Zwecke ein besonderes Zimmer, Skybowl jedoch nicht. Er malte sich aus, wie sie einen Platz im Freien, am See, aussuchte. Vielleicht würde sie sogar Kerzen auf das dunkle Wasser hinaustreiben lassen.
    Dasselbe Ritual hatte man auf Skybowl auch für seinen Vater abgehalten – von dem Roelstra hier in diesem Raum gesprochen hatte, als sein Körper in der Wüste zu Asche verbrannte. Rohan bezweifelte jedoch, dass Roelstras Trauerrede von Herzen gekommen war.
    Er wandte sich von den Kerzen ab und blickte hinauf zu der Kristalldecke, in deren geschliffenen Scheiben sich flackernde Lichter widerspiegelten. Dreißig Schritte von ihm entfernt stand ein Tisch mit einem silbernen und einem goldenen Teller und zwei Bechern aus gehämmertem Gold. Es hieß, dass die ungeschliffenen Amethyste, mit denen die Kelche besetzt waren, beim ersten Sonnenuntergang vom Himmel gefallen waren. Nur eine Hochzeit war je mit ihnen gefeiert worden, die von Roelstra mit seiner einzigen rechtmäßigen Ehefrau, Lallante. Rohan nahm an, dass Pol hier früher oder später stehen würde, bei der Hochzeit mit einem Mädchen, das zu ihm passte. Der Herrscher der Prinzenmark konnte es kaum umgehen, in seinem eigenen Oratorium zu heiraten. Doch trotz aller Schönheit spürte Rohan eine Kälte, die diesen Raum beherrschte. Roelstra hatte hier zu lange gelebt.
    Rohan ging still über den weißen Teppich zur Mitte des Raumes, über der das Glas hoch oben an geglätteten Fels grenzte. Die Scheiben waren in so feines Mauerwerk eingepasst, dass dessen Fertigstellung sicher Jahre beansprucht hatte. Er bewunderte die handwerkliche Kunst, fragte sich jedoch, warum er nicht auch die Freude der Künstler spürte, die eine solche Schönheit geschaffen hatten. Die Gärten seiner Mutter in Stronghold – ihr Lebenswerk und ihr ganzer Stolz – riefen einen ganz anderen Eindruck hervor. Zusammen mit einem kleinen Heer von Arbeitern hatte sie das unfruchtbare Gebiet um das Schloss in ein lebendiges, anmutiges Wunder verwandelt: Jedes Blumenbeet, jeder Baum, jede Bank und jede Schleife des kleinen Bachs erzählte von der Freude seiner Schöpfer. Als er seinen Audienzsaal neu eingerichtet hatte, hatte er ein ähnliches Gefühl dabei gehabt. Es waren Künstler, die stolz auf ihr Können waren; die solch ein Juwel hervorbrachten. Dieses Oratorium aber war trotz seiner Pracht ein kalter, lebloser Ort, den nicht einmal der sanfte Kerzenschein erwärmen konnte.
    Er sagte sich, dass er wohl anders denken würde, wenn er es erst einmal im Sonnenschein sah. Dann konnte er über die weite Schlucht zu der gegenüberliegenden Felswand und tief nach unten auf den wilden Faolain blicken. Dann würde ihm das Oratorium sicher nicht wie eine Kristallblase vorkommen, die sich im Dunkeln an die Flanke eines Berges krallte, kalt und einsam und vom Geist seines Feindes erfüllt.
    Rohan drehte sich rasch um, als die Türen aufschwangen und Pandsala erschien. Das Kerzenlicht umrahmte ihren Körper und verwandelte ihr graues Trauergewand mit dem Schleier in dunkles, flüssiges Silber.
    »Alle fragen nach Euch, Herr.«
    »Ich komme sofort. Wie hält sich mein Sohn?«
    Sie lächelte, und ihre dunklen Augen glänzten vor Stolz: »Er bezaubert sie natürlich alle, genau wie ich es erwartet hatte.«
    »Lasst Euch nicht von seinen guten Manieren täuschen: Er kann schrecklich sein, wenn er will, und stur genug für sechs!«
    »Wäre er sonst ein Junge? Die vier Söhne meines Schatzmeisters waren meine Knappen, einer nach dem anderen, und jeder war durchtriebener als sein Vorgänger.« Sie kam herein, und die Türen fielen hinter ihr wieder zu. »Aber gerade, weil er ein solcher Junge ist, sollte ich Euch warnen. Er hat von dem alten Brauch gehört, dass man seine Stärke und seinen Mut beweisen kann, wenn man die Felswand gegenüber dem Schloss hochklettert. Ich fürchte, er hat sich in den Kopf gesetzt, genau das zu versuchen.«
    »Ich habe davon gehört. Es geht darum, dass man dann an den Seilen wieder herunterrutschen kann und dass es so ähnlich sein soll wie fliegen. Ich kann mir vorstellen, wie sehr ihn das reizt.«
    »Ihr werdet es natürlich verbieten.«
    Rohan lachte leise. »Lasst Euch etwas über meinen kleinen Drachen sagen, Pandsala. Wenn man ihm etwas verbietet, dann ist das für ihn wie eine Aufforderung, sich irgendetwas auszudenken, damit er es trotzdem machen

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