Mondlaeufer
bin ich heilfroh, dass es nicht stimmt.«
»Unser lieber Cousin aus Gilad ist ein bisschen arg auf seine Würde bedacht, nicht wahr?«
»Er ist aufgeblasen, arrogant und unerträglich«, fasste Alasen kurz und bündig zusammen. Dann errötete sie. »Mein Vater hat recht – ich bin so verwöhnt, dass es mir bei meinen Bemerkungen am nötigen Respekt mangelt.«
»Es auszusprechen und es zu denken, das sind verschiedene Sachen. Wir sind eine Familie, Alasen. Sagt alles, was Ihr wollt.« Sioned zwinkerte ihr zu. »Die Göttin weiß, dass ich das mache.«
Die beiden Frauen trugen bequeme Kleider, und als sie sich der Schlange an der Brücke anschlossen, unterschieden sie sich in nichts von all den anderen, die heute zum Markt gingen. Rang und Privilegien waren zweitrangig, was angesichts des sonstigen Zeremoniells erholsam war. Die Verkäufer redeten ohnehin jeden, von der Zofe bis zur Prinzessin, mit übertriebenen Titeln an; je hübscher die Frau, desto pompöser die Anrede. Männer, ob Lords oder Stallknechte, waren auf dem Markt stets »Exzellenzen«. Einfache Kleidung und äußerliche Ranggleichheit waren an den Markttagen üblich.
Dennoch war Sioneds rotgoldene Mähne wohl bekannt, auch wenn dünne Lederhandschuhe den großen Smaragd an ihrem Finger verbargen. Versuche, ihr besondere Achtung zu zollen, wurden von ihr mit einem Lächeln und einem Kopfschütteln abgewehrt, was allerdings nur zu noch größerer Ehrerbietung führte. Sie lehnte höflich einen Platz an der Spitze der Schlange ab, die darauf wartete, die Brücke zu überqueren. Trotzdem machte man ihr einen Weg frei. Auf der anderen Seite des Flusses ließen die Kaufleute alle anderen Kunden links liegen, um sie zu bedienen. Wenn das geschah, ging sie sofort weiter, sodass es sich nach einiger Zeit herumgesprochen hatte, dass die Höchste Prinzessin unterwegs war, jedoch nicht erkannt werden wollte. Die Dinge gingen wieder ihren normalen Gang, sodass sie endlich wirklich einkaufen konnte.
»Ist das bei Euch immer so?«, fragte Alasen.
»Am Anfang schon. Die Tage, wo ich hier unerkannt herumlaufen konnte, sind lange her. Ich nehme an, dies ist Euer erstes Rialla ?«
»Ja. Und es ist herrlich! Ich war natürlich in Port Adni und auf den Märkten dort. Aber das ist kein Vergleich hierzu!«
Sie zeigte auf das fröhliche Treiben an den Ständen der Händler, auf die Käufer, Knappen und Pagen, die Lehrlinge, die neue Ware heranschleppten, um die schon verkaufte zu ersetzen. Überall bunte Markisen, Stimmengewirr einer lebhaften Menge in Ferienstimmung, und vom jenseitigen Ende des riesigen Platzes roch man die Pferche der Schafe, Ziegen, Kälber und jungen Elche. Ihr Blöken war fast so laut wie die Stimmen der Feilschenden, die überall zu hören waren. Die Prinzessinnen sahen sich die Tiere an.
»Seht mal, das kleine Kalb da mit dem weißen Fleck im Gesicht«, sagte Sioned zu Alasen. »Wenn es groß ist, wird es ein enormer Stier sein, der viele Generationen seiner Nachkommen prägen wird.«
»Woher wisst Ihr so etwas?«
»Ich bin auf einem Gutshof aufgewachsen, nicht im Palast«, antwortete Sioned lächelnd. »Dieser kleine Kerl da stammt von Vieh ab, wie ich es als Kind versorgt habe. Sein Stammbaum ist genauso lang wie der von Lord Chaynals Hengsten.« Das Kalb schien zu spüren, dass von ihm die Rede war. Es trottete herbei und schnüffelte an Sioneds ausgestreckter Hand. »Davvi wird einen guten Preis für dich erzielen, mein Kerlchen.«
»Warum sollte sich ein Prinz denn um sein Vieh kümmern?«, fragte Alasen erstaunt.
»Ein Prinz sollte über alles Bescheid wissen, was innerhalb seiner Grenzen vorgeht. Das hier hat sich übrigens Prinzessin Pandsala ausgedacht. Sie hatte die Idee, dass wir das Vieh aller Prinzenreiche verbessern können, wenn wir die Rassen vermischen. Zu einem guten Preis, versteht sich«, fügte sie verschmitzt hinzu. »Viehzucht ist vielleicht nicht so ruhmreich wie Chays Pferdezucht, aber viel praktischer.«
»Mein Vater sagt, dieses Jahr werden auch Falken angeboten. War das auch eine Idee der Regentin? Können wir sie nicht ansehen?«
»Da wollte ich sowieso als Nächstes hin. Übrigens war das meine Idee«, erklärte sie, als sie einen Hügel am Waldrand hochstiegen. »Als ich klein war, konnten wir uns nie gute Falken leisten. Die besten werden in der Prinzenmark gezüchtet und waren früher nur für die sehr Reichen gedacht. Sie sind zwar immer noch sehr teuer, aber die meisten Leute sollten sie jetzt
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