Mondlaeufer
Fliegen zuzusehen, Alasen, und ich kann mir nichts Schöneres vorstellen als dieses Falkenweibchen mit dem goldenen Gesicht, wenn es seine Flügel vor der Sonne ausbreitet. Kein Wort mehr darüber!«
Alasen zögerte und lächelte dann. »Von mir nicht – und vielen Dank! Aber Ihr werdet einiges von Leuten erzählt bekommen, die sich für außerordentlich geschickte Händler halten.«
Sie kehrten auf den Markt zurück und gingen zu den Ständen mit Delikatessen. Sioned ließ sich von den verführerischen Düften allerorts gern betören und wählte aus dem Fleisch, den vielen Käsesorten, Kuchen, Gemüsen, frischen und getrockneten Früchten und Hunderten von Weinflaschen alles Nötige für ein exzellentes Mittagsmahl aus.
»Das nehmen wir mit zum Fluss, damit wir in Ruhe essen können«, sagte sie, als sie Alasen ein Körbchen mit frischen, mit Honig und Kräutern gewürzten Beeren reichte. Mühsam hielt sie ihre übrigen Einkäufe fest und versuchte, einem Haufen junger Pagen auszuweichen, die ihren freien Tag genossen. »Dann muss ich zurück und noch etwas für Pol suchen und – oh!« Sie konnte gerade noch ihr Gleichgewicht halten und drehte sich zu der Person um, die sie angerempelt hatte, einer hübschen Frau in mittlerem Alter, mit einem seltsam intensiven Blick.
»Verzeiht mir, edle Herrin«, murmelte die Frau.
»Nichts passiert«, erwiderte Sioned fröhlich. »Das ist ein ganz schönes Gedränge hier, nicht wahr?«
»Ja. Aber ich sehe, Ihr habt kein Brot für Euer Mahl. Ich kann einen Bäcker aus Waes empfehlen, gleich hier entlang.«
»Danke für Euren Rat, aber …«
»Seine Waren sollte man wirklich nicht versäumen«, unterbrach die Frau sie.
Sioned wollte lächelnd erneut abwehren. Doch etwas Dringliches, fast Verzweifeltes in den Augen der Frau ließ sie zögern. »Wirklich?«, fragte sie vorsichtig und fragte sich, wie weit die Hartnäckigkeit der Frau wohl noch gehen würde.
Weit genug jedenfalls, um Sioneds Neugier zu wecken. Sie zupfte die Prinzessin am Ärmel und flüsterte: »Bitte, Hoheit.«
»Führt mich hin.«
Sie folgte der Frau mit Alasen an einigen Ständen vorbei bis zu einem mit einer strahlend gelb-roten Markise – den Farben von Waes. Alle Kaufleute auf dem Rialla mussten sich von Gesetzes wegen mit den Farben ihrer Herren ausweisen. Stapelweise lag ungesäuertes Brot, nach Größe und Geschmack sortiert, in den Körben. Jeder Laib trug das Zeichen des Bäckers auf der Oberseite, was ähnlich aussah wie ein Wachssiegel. Der Bäcker hatte als Markenzeichen eine Meereswelle gewählt und diese in weißer Farbe auch auf den Holzstand gemalt.
Der kantige, alte Mann hinter dem Ladentisch drehte sich um, nachdem er einen Kunden bedient hatte. Beim Anblick von Sioneds Begleiterin verengte sich sein Blick. »Ah. Ulricca. Ihr habt mir also eine neue Kundin gebracht?«
»Nur das Beste für diese Dame«, sagte Ulricca.
»Ich habe Augen im Kopf«, brummte der alte Mann und schob in dem Marktstand hinten einen gelben Vorhang zur Seite. »Passt auf, dass niemand etwas klaut, solange ich nicht da bin«, mahnte er und verschwand.
»Das Beste?«, flüsterte Sioned Ulricca zu. Die tat, als hätte sie nichts gehört. Alasen sah sie fragend an, doch Sioned zuckte mit den Schultern.
Einen Augenblick später war der alte Mann zurück. Er hielt ein großes, rundes Brot in der Hand, das in ein sauberes, wenn auch mehlbestäubtes Tuch eingeschlagen war. Sioned hielt Geld bereit, doch der alte Mann schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Ich weiß, wen ich bediene.«
»Selbst ein Prinz zahlt für sein Essen. Ich bin sicher, ich werde Euer Bestes zu schätzen wissen.« Sie drückte ihm zwei Goldstücke in die Hand – hundertmal mehr, als ein Laib Brot wert war.
»Das will ich meinen, edle Herrin.« Er verbeugte sich und eilte vor, um einen neuen Kunden zu bedienen.
»Sioned – wo ist die Frau hin?« Alasen blickte sich stirnrunzelnd um. »Ich habe sie nicht gehen sehen. Wer war sie?«
»Ich habe keine Ahnung.« Sioned sah sich nach Ulricca um, von der jedoch keine Spur mehr zu sehen war. Achselzuckend nahm sie Alasen mit hinunter zum Flussufer und wählte einen Platz unter einem Spalier, das von blühendem Wein umrankt war. Betont beiläufig baute sie das Essen auf und wickelte zu allerletzt das Brot aus. Es war kalt und schon lange aus dem Ofen; das Tuch sollte also nicht Sioneds Hände schützen, sondern etwas an dem Brot verstecken, das Verdacht erregen konnte. Alasen war es, die das
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