Mondlaeufer
Zeichen an der Unterseite entdeckte: nicht die Meereswoge des Bäckers, sondern die Konturen eines Drachen im Flug, die mit einem Messer in den Teig geritzt waren.
»Ist es eine Botschaft?«, fragte Alasen mit großen Augen.
Sioned schüttelte den Kopf. »Eine Markierung.« Sie trieb ihren Daumennagel in den Rand des Brotes. »Ich mache es so auf, als wenn wir unseren Käse hineinstecken wollten. Und wenn Ihr nur ein bisschen nach rechts rutscht, dann können die Leute, die da drüben essen, nichts sehen. Danke. Aha!« Sie zog ein handflächengroßes, gefaltetes Stück Pergament heraus, das außen ganz ölig war. Als sie es abwischte, fiel etwas Goldenes heraus. Sioned hielt den Atem an.
»Ein Ring?«, flüsterte Alasen und schreckte dann hoch. »Ein Faradhi-Ring!«
Sioned ließ die Nachricht und den Ring in ihre Tasche gleiten. »Ja«, antwortete sie. »Macht den Wein auf, dann essen wir.«
Als sie ihren Imbiss beendet hatten, sammelten sie die Reste ein, gingen hinunter zum Fluss und ließen die Vögel die Krümel fressen. Erst hier zog Sioned die Nachricht heraus. »Das sollte jetzt aber das Gold wert sein«, murmelte sie. Alasen hüpfte fast vor Neugier, während Sioned die kurze Botschaft überflog und dann wieder in ihrer Tasche verstaute. »Es gibt nur einen Weg, einem Lichtläufer seine Ringe abzunehmen. Und das bestätigt diese Nachricht auch.«
»Was steht drin?«
»Entschuldigt, Alasen. Ich kann es Euch nicht sagen. Ich kann Euch nur so viel verraten, dass es wirklich ein Faradhi- Ring ist. Man sieht es an der Farbe des Goldes, er ist etwas rötlich, wie Ihr sicher bemerkt habt.«
»Und der Lichtläufer, dem er gehörte, ist wahrscheinlich tot.«
»Ja. Sonst wäre er sicher noch an seinem Finger.« Sie sah auf ihre Hände hinab. »Ich bin die Einzige, der man jemals die Ringe abgenommen hat und die es überlebte. Aber ich habe sie nie wieder getragen.«
»Aber die Nachricht …«
»Darüber darf ich nicht reden, Alasen.«
»Ihr denkt, ich bin zu jung und zu behütet, oder?«
»Ich war jünger als Ihr, als ich Rohans Prinzessin wurde, also wäre es ziemlich unfair, Euch Eure Jugend vorzuwerfen. Aber es gibt Dinge, vor denen man Euch behüten sollte, weil ehrliche Unschuld die beste Waffe gegen unangenehme Fragen ist. Bisher wisst Ihr nur, dass ein Lichtläufer tot ist und dass ich eine Nachricht erhalten habe. Solange Ihr nicht mehr wisst, seid Ihr sicher. Nicht einmal Prinzessinnen mit Lichtläufer-Gaben sollten alles wissen.«
»Ihr aber schon«, murmelte Alasen.
»Ach je! Wenn das so wäre!« Sioned machte eine kleine Pause. »Ihr habt Euch gerade nicht gewehrt, als ich Euch eine Faradhi nannte.«
Alasen brach den Käse in Bröckchen und warf diese dann für die Fische ins Wasser.
»Habt Ihr je die Geschichte von Siona gehört, der Großmutter von Eurem Vater und mir? Sie war Lichtläuferin an der Schule der Göttin und hat Prinz Sinar auf einem Rialla getroffen. Sie haben sich ineinander verliebt. Es war ein schrecklicher Skandal, weil Prinzen und Lords damals keine Faradh’im heirateten, zumindest keine ausgebildeten. Man fürchtete, die Gabe würde in der nächsten Generation bei den Prinzen auftreten und die würden von Faradhi- Eltern ohne die Kontrolle der Schule der Göttin ausgebildet werden.«
»Die Zeiten haben sich wohl geändert«, sagte Alasen mit einem verstohlenen Blick auf Sioned.
»Andrade hat sie geändert, weil sie es für richtig hielt. Erst mit mir ist die Gabe in der Linie von Kierst aufgetaucht. Und jetzt bei Euch. Es ist gar nicht so schrecklich, müsst Ihr wissen, Lichtläuferin und Prinzessin zu sein.«
»Aber es macht mich wertvoll, nicht wahr?«, brach es aus Alasen heraus. Sie warf den restlichen Käse ins Wasser. Silbergrüne Fische schwammen herbei, und das Wasser warf Blasen, als sie um das Futter kämpften.
»Aha«, murmelte Sioned. Sie verstand Alasens Problem. »Ohne mich und meine Hochzeit mit Rohan, die gegen alle Regeln verstieß, hättet Ihr Eure Gabe zugeben, eine Ausbildung erhalten und vielleicht als einfache Lichtläuferin leben können. Aber meinetwegen seid Ihr jetzt eine junge Dame von großer Bedeutung, wenn es um die Brautschau geht.«
»Es ist nicht Eure Schuld«, sagte Alasen rasch. »Ihr habt recht; ich weiß, dass ich Faradhi bin. Ich habe es immer gewusst. Ich dachte, es wäre nicht möglich, gleichzeitig Prinzessin und Lichtläuferin zu sein. Aber ich bin Prinzessin von Kierst, und ich habe Pflichten. Selbst wenn ich an die
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