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Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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verschränkte die Arme, um das Zittern seiner Hände zu verbergen. »Keiner hat noch Zeit, irgendwo Zuckerguss abzukratzen. Kannst du es nun oder nicht?«
    »Um deinen Sohn zu zitieren: Ich weiß es nicht. Ich habe es nie versucht.« Sie ließ Urivals Hand los und legte ihre langen Finger ineinander. »Ich nehme an, du willst eine bestimmte Nacht im Feuer sehen.«
    »Andrade …«, setzte Urival an, doch ihre Lider hatten sich bereits über ihre blauen Augen gesenkt, und die Kohlen beantworteten ihren schweigenden Ruf mit einem Aufleuchten.
    Rohan hielt den Atem an. Sie führte ihre gefalteten Hände an ihre Lippen und schloss fest die Augen. Ihr Gesicht straffte sich zu einer Maske, Knochen traten unter der alten Haut hervor und verliehen ihren Zügen Stolz. Feuer loderte in dem Bronzebecken auf, flackerte, beruhigte sich und sprang bis zur Decke empor. Rauchige Bilder formten sich allmählich in den Flammen:
    Auf Roelstras Schiff waren Laternen entzündet worden und pendelten in einer leichten Brise hin und her. Seeleute liefen nervös auf dem dunklen Deck auf und ab. Dann war da eine enge Treppe, ein kleiner, schlecht erleuchteter Raum, wo sich drei Frauen in Wehen wanden und dabei von Prinzessin Pandsala bewacht wurden. Plötzlich wechselte die Szenerie, und Dienerinnen drängten sich in einem getäfelten Gang. Andrades beringte Hand klopfte tonlos gegen eine verschlossene Tür. Dann öffnete sich die Tür.
    Das Feuer flackerte wild auf und erstarb mit einem Laut, als würde ein Schwert in seine Scheide zurückgesteckt. Andrade schnappte nach Luft und taumelte gegen Urival. Ihre Stirn war schweißüberströmt. Er hielt sie fest und funkelte Rohan wütend an.
    »Zufrieden?«, fuhr er ihn an.
    Rohan kniete vor seiner Tante und hielt ihre Hand, denn ihr stoßweises Atmen erschreckte ihn. »Andrade … Es tut mir leid …«
    »Nein«, flüsterte sie rau. »Sei still.« Sie holte einmal tief Luft, dann noch einmal und riss sich zusammen. »Ich bin nur erschöpft. Jetzt weiß ich, warum solche Sachen verboten sind.« Sie streckte ihre Hand aus und beobachtete amüsiert, wie die zitterte. »Gütige Göttin. Das ist mir noch nie passiert. Als fiele ich in einen endlosen Brunnen, in die Dunkelheit …« Sie brach ab und schüttelte heftig den Kopf, um den Schweiß aus ihren Augen zu bekommen. »Es geht aber. Ich kann es wahrscheinlich tun.«
    Urival stieß einen finsteren Fluch aus. »Du wirst nichts dergleichen tun, weil er dich nicht darum bitten wird! Sei nicht dumm!«
    Sie hörte nicht auf ihn. »Hast du etwas Nützliches gesehen, Rohan?«
    »Das Schiff, die Räume unter Deck, ein paar Frauen in einem Gang, deine Hand, wie sie an eine Tür klopfte. Mehr nicht.«
    »Ich bin nicht weit genug gegangen«, sagte sie erregt.
    »Noch weiter, und du wärst ohnmächtig geworden. Mindestens das!«, schimpfte Urival. »Bist du verrückt geworden?«
    »Nicht mehr als sonst. Nur Ruhe, mein alter Freund. Rohan, ich werde es tun, wenn du es willst. Falls es notwendig wird. Wann wirst du meine Vorstellung möglicherweise brauchen?«
    »Wenn du meinst, dass du es schaffst, in zwei Tagen. Aber …«
    »Kein Aber. Du kannst allerdings nicht dasselbe von Pandsala erwarten. Ich habe alles aus mir herausgeholt für das bisschen, was ihr gesehen habt. Weder ihre Begabung noch ihr Können reichen dafür aus.« Ihre Hand schloss sich um seine. »Versuch erst alles andere. Ich werde es tun, wenn ich muss. Für Pol. Aber nur, wenn es unbedingt sein muss.«
    »Nur wenn es keinen anderen Weg gibt«, versprach er. »Du hast mich fast zu Tode erschreckt.«
    »Für mich war es auch nicht gerade angenehm«, antwortete sie mit der alten Schärfe. »Los, ab ins Bett.«
    Rohan drückte ihre Finger an seine Wange, dann an seine Lippen. »Verzeih mir, Tante«, sagte er. Sie strich ihm fast zärtlich das Haar zurück. Es war eine der wenigen liebevollen Gesten, die sie ihm gegenüber je gezeigt hatte. In seiner Kehle steckte ein Klumpen. Ehe er die beiden verlegen machen konnte, stand er auf und verließ das Zelt.
    Als die weiße Seide sich gerade hinter ihm schloss, hörte er Andrade sagen: »Urival, bring mir die Sternenrolle:«
    Rohan ging sehr langsam zu seinem eigenen Pavillon. Er hatte, was er wollte. Und es machte ihm Angst.

Kapitel 21
    In Pols Alter war es schon schlimm genug, sich zu langweilen. Doch jetzt war auch gleichzeitig klar, dass sich merkwürdige Dinge anbahnten. Wichtige Dinge, die ihn betrafen, obwohl es offenbar niemand für

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