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Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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Drachenknochenstab in den Sand und hob das Gesicht zum Himmel.
    »Horch«, flüsterte sie. »Hörst du sie? Hör dir das Geräusch ihrer Schwingen an, Pol.«
    Von seinem Großvater Zehava hieß es, dass er den Tag, an dem die Drachen zurückkehrten, aus den Wolkenformationen erkannt hatte. Gerüchten zufolge war Myrdal mit Zehava verwandt; zumindest schien sie dasselbe Talent zu besitzen. Pol schloss die Augen und konzentrierte sich. Er hoffte von ganzem Herzen, dass auch er diese Fähigkeit geerbt hatte. Am Rande seines Bewusstseins spürte er ganz schwach ihre Flügel. Er hörte sie kaum, spürte sie aber mit allen Fasern. Es war ein herrlicher Kitzel, eine Erregung, die sein Blut durchströmte.
    Maarken war mit Sionell und Jahnavi im Schlosshof und erzählte ihnen eine Geschichte, während er für den Jungen eine Flöte schnitzte. Plötzlich fuhr er zusammen und sprang auf. Jahnavi, der nach Maarkens früh verstorbenem Zwillingsbruder benannt war, zupfte ihn erschrocken am Ärmel. Sionell wollte etwas sagen, doch da erscholl ein Ruf vom Turm der ewigen Flamme: »Drachen!«
    Alle auf Stronghold verließen ihre Posten und eilten zu Aussichtspunkten an den Fenstern, auf dem Wachhaus und auf den Mauern. Als die Drachen am nördlichen Horizont als schwacher Punkt sichtbar wurden, rangelten die Leute sich um die besten Plätze – alle in einem merkwürdigen, ehrfürchtigen Schweigen. Rohan, Sioned, Tobin und Chay trafen Feylin, als sie eilig den Turm der ewigen Flamme hochliefen. Nur ihre Schritte waren zu hören. Der Posten hatte bereits die steinerne Tür zu einem hohen, kreisrunden Raum in der Spitze des Turms geöffnet, wo das ganze Jahr ein Feuer brannte: Lichtsignal in der Wüste und Symbol für Rohans Herrschaft. Nicht einmal die nach allen Seiten offenen Fenster konnten die Hitze mildern, die von dem Feuer in der Mitte des Raumes ausging. Sofort bildeten sich ihnen Schweißperlen auf der Stirn und auf dem Rücken, als sie sich an die Fenster stellten.
    In der Stille war das Rauschen der Schwingen deutlich zu vernehmen. Der unscharfe Fleck wurde größer, und bald konnten sie einzelne Drachen ausmachen. Sonnenlicht ließ ihre matte Haut braun, rostfarben, aschgrau, bronzegrün, tiefgolden und blauschwarz aufleuchten. Dann hörte man plötzlich den Klang der Drachenstimmen. Ein Schauer lief durch alle, die die hochmütigen Schreie hörten: besitzergreifend, triumphierend, warnend. Kraftvoll schlugen ihre Schwingen, und die angezogenen Beine mit den glänzenden Klauen waren kaum zu sehen. Als sie die heißen Aufwinde erreichten, stiegen sie höher, glitten mit ausgebreiteten Flügeln über das Land und wandten sich dann nach Osten, um ihre Herrschaft über den weiten Sand hinauszubrüllen. Schließlich flogen sie auf die Berge zu.
    Ein gewaltiger brauner Leitdrache mit goldenen Flecken und schwarzen Flügelunterseiten schnappte nach einem kleineren silbernen Drachen, der ihm zu nahe gekommen war. Die Rivalen brüllten so laut, dass die Mauern von Stronghold erbebten, und flogen anmaßend nahe an der Burg vorbei, voller Verachtung für die armseligen Wesen da unten, die staunend und schweigend zu ihnen emporblickten.
    »Herr der Stürme!«, schrie Feylin auf. »Ich vergesse ganz, sie zu zählen. Schnell, gebt mir doch Pergament und Feder!«
    »In Euren Händen«, sagte Chay. Sie sah überrascht nach unten und warf ihm dann das Schreibzeug samt einem Fläschchen Tinte aus der Tasche ihrer Tunika zu.
    »Schreibt für mich!« Sie lehnte sich gefährlich weit aus dem Fenster, sodass Rohan sie sicherheitshalber an der Taille festhielt, während sie laut zählte: »Eine Gruppe von acht Jungen, alle braun – fünf Drachenweibchen, verschiedene Grautöne – vierzehn, nein, sechzehn weitere Drachenweibchen, bronze und schwarz …« Sie schnappte nach Luft und zählte fieberhaft weiter. »Sechsunddreißig Halbwüchsige, ein brauner Leitdrache, ein schwarzer Leitdrache, zwei graue, drei goldene – o Göttin, seht nur den Schwarm von roten Drachen! Vierzig Stück!«
    »Zweiundvierzig«, stellte Tobin vom Nachbarfenster aus richtig, als die Drachen vorbeizogen.
    Chay konnte kaum so schnell schreiben. Er hockte auf dem Boden und kritzelte mit, so schnell es ging, während die beiden Frauen Farben und Zahlen nannten. Rohan hielt Feylin fest, die auf das Fenstersims kletterte.
    »Und jetzt die Nachhut – achtundzwanzig halbwüchsige Drachen, grau, grün und bronzefarben!« Im selben Moment verlor sie ihr Gleichgewicht. Rohan

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