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Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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den ihres Mannes abstreifte. Hollis würde ihre Pflicht tun. Sie würde keine zweite Sioned werden.
    Segev brachte Morwenna freiwillig das Essen hoch. Es war das Mindeste, was er für sie tun konnte, nachdem er ihren Sturz arrangiert hatte.
    Es war lächerlich einfach gewesen. Sie ging vor dem Abendessen immer ein oder zwei Stunden in die Bibliothek, um sich für den Unterricht am nächsten Tag vorzubereiten. Die schiefe Stufe war mit ihm im Bunde gewesen: Alle machten dieselbe Ausweichbewegung, und es hatte genügt, die nächste Stufe nur ganz leicht rutschig zu machen. Er hatte es am Vorabend ausprobiert und dabei aufpassen müssen, dass er nicht seinem eigenen Trick zum Opfer fiel. Dann hatte er das Holz wieder abgewischt. Heute Nachmittag hatte er auf Morwenna gewartet, und als sie fluchend forthumpelte, war er aus seinem Versteck gehuscht und hatte die Ölspuren entfernt. Das verräterische Tuch hatte er die Klippen hinuntergeworfen, wo die Flut es ins Meer hinaustragen würde. Niemand hatte ihn gesehen, und niemand vermutete, dass der Unfall kein Unfall war. Daher setzte er sich völlig gelassen zum Essen.
    Hollis war nicht an ihrem gewohnten Platz; das war ein gutes Zeichen. Aber auch Jobyna und Eridin fehlten; das war schlecht. Natürlich konnte auch eine andere als Hollis heute Nacht Morwennas Platz einnehmen, die goldblonde Lichtläuferin war nur seine erste Wahl. Die anderen würden es sicher auch tun; bloß waren sie nicht so hübsch. Es befriedigte ihn, dass er instinktiv die Auserwählte von Lord Maarken ausgesucht hatte, dem Cousin des Jungen, der beim Rialla vielleicht die Prinzenmark und in wenigen Jahren ganz sicher die Wüste verlieren würde. Segev gefiel der Gedanke mehr und mehr, dass nicht sein ältester Bruder Ruval, sondern er Pol aus Stronghold vertreiben würde. Doch dazu musste er sich erst vor Mireva bewähren. Er ging früh nach oben, denn er hatte keine Lust mehr, bei den plumpen Scherzen seiner Kameraden Scham vorzutäuschen. Sie waren eifersüchtig. Er hatte jetzt einen Raum ganz für sich allein, und der schmucklose Silberring an seinem rechten Mittelfinger zeigte, dass er einen neuen Status erworben hatte, noch ehe einer von ihnen auch nur ein Fünkchen Feuer hervorgerufen hatte. Er floh vor ihren Hänseleien, sobald es ging, und lief nach oben, um sein neues Zimmer zu erkunden.
    Als Feruche abbrannte, war er zu jung gewesen, um sich an den Luxus dort zu erinnern, doch etwas in ihm hungerte nach schönen Dingen: seidenen Laken und dicken Teppichen, Wandbehängen, eleganten Möbeln und großzügigen Räumen, um all das zur Geltung zu bringen. Sein neues Zimmer hatte nichts davon. Es gab ein schmales Bett, einen kleinen Tisch daneben, ein leeres Kohlenbecken und eine kleine Kleiderkiste. Auf dem Tisch am Bett standen eine Waschschüssel und ein einfacher Tonkrug, den er am Morgen mit Wein gefüllt hatte. Jetzt versetzte er ihn großzügig mit Dranath und nahm selbst ein wenig zu sich. Er liebte die unverwechselbare Glut, die daraufhin durch seinen Körper rann.
    Segev legte sich nackt ins Bett und stellte sich schlafend. Doch als die Zeit verstrich, wurde er ungeduldig. Hatten sie ihn vergessen? Was machten andere junge Männer, wenn sie wussten, dass es ihre Mannesnacht sein würde? Er war nervös, aber sicher anders als sie. Jeder Schritt draußen im Gang ließ seinen Puls schneller schlagen, doch die Tür blieb geschlossen. Die Dunkelheit verdichtete sich in dem fensterlosen Zimmer, und die Laken schienen ihn zu ersticken. Er wälzte sich von einer Seite auf die andere, warf die Laken auf den Boden und zog sie dann wieder ins Bett.
    Bestimmt war irgendetwas schiefgegangen. Andrade, die alte Hexe, hatte wahrscheinlich Verdacht geschöpft. Vielleicht hatte jemand Ölreste auf der Stufe entdeckt. Vielleicht hatten sie seine Tarnung durchschaut. Sie würden ihn aus dem Bett zerren und alle ihre Künste anwenden, damit er ihnen alles von Mireva und dem Steinkreis im Wald erzählte, sie würden …
    Ein hoher, rechteckiger Lichtstreifen zeichnete sich rund um seine Tür ab. Er saß senkrecht im Bett, Haar und Haut schweißüberströmt. Jemand trat ein – nein, etwas , ein schimmernder, farbloser Nebel von fast durchsichtiger Blässe. Die Tür verschwand wieder in der Dunkelheit und verschmolz mit der Nacht, doch der unauffällige, formlose Schimmer glitt auf ihn zu, wobei er weder Licht noch Schatten warf. Segev versuchte, sein Herzklopfen zu bezähmen, als er spürte, wie ein sanfter

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