Mondlaeufer
hielt eine Hand voll Sand zwischen den starken Fingern. Sein saphirbesetzter Topasring spie Feuer, als er sie zusammenpresste. »Deine Mutter möchte, dass ich das Schloss dort wieder aufbaue. Anscheinend bleibt mir nichts anderes übrig.«
Etwas in seiner Stimme warnte Pol vor der Frage, warum er nicht über Feruche sprechen wollte. »Aber Vater, wir können diese Höhlen jetzt nicht anrühren, sonst haben die Drachen überhaupt keinen Platz mehr zum Schlüpfen. Nach Rivenrock gehen sie nicht zurück, und das ist der einzige Ort, wo genug Höhlen sind, um das Überleben einer ausreichenden Zahl Drachen zu sichern.«
»Du siehst also, Pol: Lernen ist leicht, aber es ist schwer, die Dinge zu verwirklichen.« Er wischte sich den Staub von den Händen und stand auf. »Jetzt weißt du also alles über die Drachen und ihr Gold. Ich wollte dich nicht so früh damit belasten, aber …« Er zuckte die Achseln.
»Tut es dir leid, dass du es mir erzählen musstest?«
»Nein. Es ist sicher besser, wenn sich noch ein helles Köpfchen mit diesem Problem abmüht. Immerhin haben wir im Moment noch keinerlei Schwierigkeiten. Ostvel schätzt, dass diese Höhlen hier erst in acht bis zehn Jahren ausgebeutet sind. Bis dahin können wir uns etwas einfallen lassen.«
»Das sollten wir wohl«, sagte Pol beim Aufstehen. Er warf die Schale hinten in die Höhle und ging zum Ausgang. Als Rohan sich räusperte, drehte er sich um: »Sag bloß, es gibt noch mehr zu bereden?«
»Nein, du hast bloß eine winzige Kleinigkeit vergessen.« Er wies auf das Flämmchen, das noch über dem Sand schwebte.
Peinlich berührt löschte Pol das Feuer durch einen Gedanken.
»Ein Glück, dass wir Andrade nichts davon erzählen wollten«, meinte Rohan. »Das könntest du nie wiedergutmachen!«
Fern von den Höhlen mit dem Drachengold genoss Lady Andrade den Abschied von einem herrlichen Tag. Was um sie herum golden schimmerte, war der diesige Glanz des Sonnenuntergangs, der die Wellen der See in lohfarbenen Samt verwandelte. Sie hatte ihr Haar gelöst, sodass es ihr über Schultern und Rücken floss wie bei einem jungen Mädchen, und der leichte Luftzug, der durch das Fenster kam, bewegte die silbrigen Strähnen um ihr Gesicht. Wie alle Faradh’im war sie ein Geschöpf des Sonnenlichts; Winterstürme und Nebel legten sich ihr aufs Gemüt. Jetzt aber, von der Fülle des Frühlings umgeben und inmitten einer frühsommerlichen Luft, fühlte sie sich wieder richtig lebendig.
Sie lehnte sich mit einer Schulter gegen die Mauer am Fenster, verschränkte die Arme und seufzte vor Glück, als die Sonnenwärme durch ihre Glieder und über ihre Wangen floss. Vergessen war ihr winterliches Gerede über Alter und Tod; so ging es ihr immer, wenn Regenwolken den Himmel verhängten. Doch jetzt war ihr Fleisch wieder warm, und das Blut durchströmte ihre Adern mit neuer Kraft. Sie lachte und schwor sich, alle hier zu überleben.
Es war ein interessanter Tag gewesen und würde für zwei Menschen eine noch interessantere Nacht werden. Morgens war der junge Sejast für seinen ersten Ring geprüft worden und hatte ein Mordsfeuer hervorgerufen. Doch er war weder rot geworden, noch hatte er sich für seinen Mangel an Selbstbeherrschung entschuldigt. Er war stark, und das wusste er. Andrade freute sich darauf, ihm in den kommenden Jahren die Kunst der Zurückhaltung beizubringen, wie sie es schon bei anderen, noch begabteren jungen Männern und Frauen getan hatte, die auch so versessen darauf gewesen waren, ihre Kräfte kennenzulernen. Sie musste allerdings zugeben, dass seine Arroganz – nur so konnte man es nennen – höchstens der von Andry gleichkam.
Oder ihrer eigenen, wie sie sich eingestehen musste, wenn sie aufrichtig war. Sie lachte wieder, als sie sich fragte, wie ihre einstigen Lehrer es geschafft hatten, sie nicht zu erwürgen. Fast wünschte sie sich, noch jung genug zu sein, um mit Sejast seine Mannesnacht zu verbringen. Sie wusste, dass sie seiner Zähmung damit ein gutes Stück näher kommen würde. Doch sie vertraute hierbei Morwennas Künsten. Mit acht Ringen und fünfunddreißig Jahren hatte Morwenna genug Feuer in sich, um selbst den kleinen Sejast in Glut zu versetzen.
Bei einem leisen Klopfen an der Tür wandte sie ihren Blick von dem Sonnenuntergang über dem Meer ab und rief: »Tritt ein, Urival. Es ist offen.« Aber es war nicht ihr Präfekt, der eintrat, sondern Morwenna humpelte – wie durch Zauberhand herbeigeführt – ins Zimmer. Sie wirkte
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