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Mondscheingeflüster

Titel: Mondscheingeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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nach sechs, den halben Tag saß er bereits hier. Trotz seiner Nervosität verspürte er Hunger, vor allem aber quälenden Durst. Hatten die vor, ihn hier eintrocknen zu lassen? Gerade als er überlegte, ob er gegen die Tür hämmern und schreien sollte, hörte er, wie draußen der Schlüssel umgedreht wurde. Das langhaarige Mädchen - Lucy hieß sie, so glaubte er mitbekommen zu haben - trat ein. Es hielt eine große Papiertüte in der Hand.
    »Wie geht's?«, fragte sie.
    Ted zuckte mit den Schultern. »Nicht so toll. Ich weiß nicht, was das alles soll.«
    Lucy reichte ihm die Tüte. »Für dich. Du bist sicher hungrig.«
    Einen Moment schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, jegliche Nahrungsaufnahme zu verweigern, wenn sie ihm nicht erklärten, weshalb sie ihn hier festhielten, aber dann begriff er, dass er damit nichts erreichen und sich nur selber schaden würde. Er öffnete die Tüte, sie enthielt einen verschlossenen Plastikbecher mit eiskaltem Orangensaft, einen Cheeseburger und eine große Portion Pommes frites. Ted trank die Hälfte des Saftes in einem Zug aus, ehe er in den Cheeseburger biss.
    Lucy setzte sich ihm gegenüber auf einen wackeligen Stuhl und sah ihm zu. Ted hob den Kopf, musterte sie eindringlich. Sie sah weniger gut aus als vorhin. Da war sie wenigstens noch einigermaßen anständig angezogen gewesen, aber jetzt wirkte sie vollkommen verschlampt. Ausgeleierte Jeans, ein uralter, fleckiger Wollpullover darüber, ehemals weiße, jetzt grüngraubraune Turnschuhe an den Füßen. Dazu dieser unmögliche Silberschmuck! Ted hasste alles, was billig aussah. Wahrscheinlich hatte sie ihn von irgendwelchen Straßenhändlern, von diesen ewigen Hippies.
    »Was schaust du mich so an?«, fragte Lucy.
    »Nur so. Ich habe darüber nachgedacht, warum Sie ... ach, nichts.«
    »Sag es doch.«
    »Nein.«
    Schweigend verspeiste er sein Essen, trank den Saft und sagte: »Ich habe immer noch Durst.«
    »Ich hol dir nachher eine Flasche Wasser.«
    »Das wäre sehr freundlich.«
    »Das wäre sehr freundlich«, äffte sie ihn nach. Dann schwenkte sie provozierend den Schlüssel. »Glaub übrigens nicht, du könntest mich überwältigen und entkommen. Chick und Greg sind draußen.«
    »So etwas dachte ich mir schon. Ich hätte nicht versucht zu fliehen, bestimmt nicht.«
    »Du gehörst nicht zu denen, die etwas riskieren, was? Ich wette, du hast dein ganzes bisheriges Leben total angepasst verbracht und hast den großen Leuten nach dem Mund geredet!«
    »Ich verhalte mich vernünftig, das ist alles. Es wäre völlig unvernünftig zu versuchen, davonzulaufen und dabei womöglich abgeknallt zu werden. Es ist mir egal, was Sie von mir denken, Lucy. Ich will diese Geschichte überleben, das ist alles. Ich will hier herauskommen und dann keinen von Ihnen jemals wiedersehen.«
    »Von uns hat auch keiner Lust, dich wiederzusehen. Ich jedenfalls bestimmt nicht.«
    Ted machte ein unbewegtes Gesicht, aber bei sich dachte er: Irgendetwas findest du aber an mir, du Schlampe. Natürlich hasst du meine schönen Kleider, meinen guten Haarschnitt, mein teures Rasierwasser und mein gepflegtes Gesicht. Aber es fasziniert dich auch. Eigentlich wärest du auch gern so. Du würdest gern Eindruck auf mich machen. Ich wette, du würdest dir wünschen, dass ich dich hübsch finde!
    »Hoffentlich«, sagte Lucy, »kannst du heute Nacht gut schlafen. Ich meine, ohne vorher dein Gesicht einzucremen und ein Haarnetz anzulegen, um deine hübsche Frisur nicht in Unordnung zu bringen!«
    Ted blieb gelassen. »Ich würde mich nur gern waschen. Und meine Zähne putzen. Falls das möglich wäre.«
    »Mal sehen.« Lucy stand auf, nahm ihm die leere Tüte ab. »Ich denke an das Mineralwasser nachher.«
    Sie ging zur Tür.
    »Lucy?«
    »Ja?«
    »Warum bin ich hier? Wo ist Kathrin? Was bedeutet das alles? Was wollt ihr?«
    »Das erfährst du noch früh genug«, erwiderte Lucy und verließ das Zimmer.
 
    Kathrin hatte sich gerade für das Abendessen mit Mike umgezogen, als das Telefon klingelte. Es war Jane, Teds Mutter.
    »Hallo, Kathrin. Ich hoffe, ich störe dich nicht. Weißt du, ich mache mir ein bisschen Sorgen. Ted ist heute früh fortgegangen und bis jetzt nicht wiedergekommen. Es ist nicht seine Art, uns nicht zu sagen, wenn es länger dauert. Er ist nicht zufällig bei dir?«
    »Nein. Ich habe nichts von ihm gehört und ihn nicht gesehen.«
    »Ja ... merkwürdig. Ich habe schon einige seiner Freunde und Bekannten angerufen, aber niemand weiß etwas.

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