Mondschwingen (German Edition)
Atemwölkchen in die Dunkelheit. „Nichts
Gutes, schätze ich.“
„Natürlich nicht.“ In diesen Tagen gab es
nur sehr wenige gute Nachrichten, Toiva wusste schon gar nicht mehr, wie sie
sich anfühlten.
„Ich habe Großes vor, Sala. Manchmal habe
ich Angst davor.“ Sie vertraute der Spionin. Eigentlich vertraute sie fast
niemandem, erst recht nicht den einfältigen Edelmännern auf ihrer Burg.
„Ich will die Menschenkönigin töten“,
flüsterte sie, „Ich will mit einem Heer aus Kriegern und Spionen nach
Skopenvang segeln und unsere Stärke beweisen. Wir können sie besiegen, wenn wir
wollen.“
Sala sah sie lange an. „Ich dachte, wir
sind nicht genug für derlei Aktionen.“
„Wenn wir jeden nehmen, den wir haben,
müssten wie mehrere Tausend sein. Skopenvang ist der wunde Punkt der Menschen,
die besten Krieger leben dort, um die Königin zu schützen. Wenn wir dort
gewinnen, auf Skopenvang, hätten wir einen entscheidenden Schritt zu unserem
Sieg getan.“
„Was ist schon Sieg“, seufzte Sala. „Geht
es uns tatsächlich noch um Sieg? Damals, ja, da wollten die Mondschwingen
gewinnen, als wir mehr waren und mutiger. Nun aber geht es nur noch ums
Überleben, oder nicht? Wir Spione sollen doch nichts anderes tun, als andere
Mondschwingen zu schützen. Die Menschen sind uns zahlenmäßig überlegen, es ist
ohnehin ein Wunder, dass wir nicht schon alle ausgestorben sind.“
Es war die Wahrheit, die sie sagte, und
doch oder vielleicht gerade darum war sie schmerzlich. Toiva wusste, dass sie
kaum Schuld daran trug - zwei Jahre herrschte sie erst, zwei Jahre, in denen
man wenig erreichen und in denen man noch weniger rückgängig machen konnte.
Einar war zu friedlich gewesen, das musste
selbst sie sich eingestehen. Er hatte davor gescheut, Kriege zu führen,
Verräter in den eigenen Reihen mit dem Tod zu bestrafen, Gegnern Geheimnisse zu
entlocken. Über fünfzehn Jahre lang hatte er geherrscht, zehn davon hatte Toiva
an seiner Seite verbracht, bevor er dann schließlich gestorben war und sie ein
Land voller Probleme und eines schrumpfenden Volkes zu regieren hatte. Es war
fast kein Tag vergangen, an dem sie nicht an Einar gedacht hatte, an seine
Ideale und seine friedliche Ziele und sie kam nicht umhin, zu erkennen, dass
sie nicht war, wie er. Sie hatte keine Angst vor Mord und Bestrafung, Feinde
wurden vernichtet, Spione eingekerkert, bis sie die nötigen Informationen
ausspuckten und falls nicht, mit dem Tod bestraft wurden. Sie wusste, dass ihr
nichts anderes übrig blieb, in ihrer heiklen Lage, in der Gewissheit, dass bei
emotionaler Schwäche nicht nur ihr Feind an Macht gewinnen würde, sondern sie
selbst das Todesurteil ihres eigenen Volkes besiegeln würde.
Manchmal hatte sie Skrupel, wenn sie tötete
oder Hinrichtungen befahl, aber meistens blendete sie das schlechte Gewissen
aus. Wie ein böser Traum aus vergangenen Nächten hing es dann in ihrem
Gedächtnis fest.
„Unsere Zukunft ist ungewiss. Wir wissen
nicht, ob wir stärker werden oder schwächer, weder ob wir an Spionen und
Kämpfern gewinnen oder weiter verlieren. Noch sind wir handlungsfähig, noch
sind wir genug, um uns zu wehren. Wenn wir allerdings weiter schrumpfen, ist
jede Chance auf einen Sieg dahin.“
„Wir können genauso gut mehr werden und
dann wäre die Chance auf einen Sieg wiederum viel größer.“ Sala stand auf,
schlug mit einem schneeüberzogenen Ast in ihre Handfläche.
„Unsere Schwäche ist unsere Stärke. Die
Menschen glauben, dass wir zu wenige sind, um zu kämpfen. Wenn wir nun in den
Krieg ziehen, sind sie völlig unvorbereitet, da sie keinen Angriff vermuten.
Sie sind bereits sicher, den Jahrhunderte alten Kampf endlich gewonnen zu
haben, sie glauben, dass sie im Grunde nichts anderes mehr tun müssen, als
abzuwarten. Niemand rechnet damit, dass wir jetzt zu kämpfen fähig sind.“ Sie
blies die Backen auf und pfiff durch ihre Zahnlücke. Das tat sie ab und zu,
wenn sie den Ernst in ihrer Stimme nicht ertrug.
„Was glaubt Ihr, wie viele Menschen auf der
Insel leben? Sie ist nicht besonders groß, habe ich gehört und eine Bevölkerung
inmitten eines Sees benötigt von irgendwo Nahrung, wenn es also viele sind ...“
„Es sind nicht viele, sagen meine Spione.
Zehntausend, mehr nicht.“ Sie wusste, dass zehntausend alles andere als nicht
viele waren, sie wusste aber auch, dass
nur ein Teil dieser zehntausend Menschen ausgebildete, fähige Krieger waren.
Die Größe der Armeen, die
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