Mondschwingen (German Edition)
so.“
„Was nimmst du dir
heraus, dreckige Göre? Einen König spricht man anders an.“ Er schaute sich nach
der Stimme um, wie ein hungriger Wolf auf der Suche nach seiner Beute. „Aus dem
Weg“, schnauzte er. Seine Männer machten ihm den Weg frei, zögerlich nur.
Da stand sie vor ihm.
Sie sah beinahe übersinnlich aus, in ihrem weißen Kleid, mit ihren weißen
Haaren, ihrer blassen Haut. Sie lächelte ein leises Lächeln, kaum zu sehen auf
den schmalen Lippen. Kastja tat gar nichts, nichts außer starren und verblüfft
sein. Jetzt erst wusste er, wer das Oberhaupt war, er hatte ihre Stimme nicht
erkannt, er hatte nicht einmal gewusst, dass sie eine Aufsässige war. Seine
Lippen bewegten sich. Svija verstand nichts, am liebsten hätte sie jedes seiner
Worte gehört.
Er lief langsam auf sie
zu, nur ein Schritt trennte sie voneinander. Alle schienen sie erstarrt zu
sein, eingemeißelt in ein viel zu buntes Bild.
Eine ganze Weile standen
sie so da, Malvö hielt den Atem an, schien es Svija.
„Was soll das bloß?“
Crava schüttelte den Kopf. „Ich versteh das nicht. Was starren sie sich so an,
wie blinde Fische? Warum sagt denn niemand was, warum kämpft niemand?“
Svija wusste es und
irgendwie auch nicht. Hatte Amber recht gehabt und Kastja war gar nicht so
schlimm?
„Wenn sie irgendetwas
tun würden, aber dieses Schweigen, dieses Nichts …“
Kastja senkte den Kopf.
Fast unmerklich trat er einen Schritt nach vorne, Svija sah ihm an, dass er so
gern seine Hand ausgestreckt hätte. Gwaedja rührte sich langsam, ihre
Fingerspitzen berührten seine Hand, vermutlich sah es niemand, niemand außer
den Vieren am Fenster.
„Was …?“ Crava schlug
sich die Hand an den Mund.
„Die Welt spielt
verrückt, fürchte ich.“ Wulf gackerte. „Nichts passt mehr zusammen.“
„Es ist die Aura, die
Aura dieser holden Frau, diesem Engel! Diese Gestalt in Weiß, sie bringt selbst
den Lautesten zum Schweigen.“
Fuks legte den Finger an
die Lippen. Sie machten das Fenster noch ein Stückchen weiter auf, vielleicht
redeten sie, ganz leise.
Kastja drehte sich um,
stand nur da, unbeweglich im Wind. Jeder seiner Männer wartete auf sein Urteil.
Die Menge im Dornenkranz begann zu flüstern, sie schauten sich um, konnten
nicht verstehen, was geschah.
„Brennt, brennt alles
nieder!“, schrie Kastja „Zerstört den Sommerwald, aber lasst die Aufsässigen
leben.“ Er riss einem Jäger die Fackel aus der Hand und warf sie symbolisch ins
Dickicht. Auf einen Schlag erwachten die Männer und Opfer zum Leben und der
Wald fing wieder an zu atmen.
Nun schrien und rannten
sie alle, aber die wenigsten verschwanden hinter den Bäumen. Sie liefen hin und
her wie gescheuchte Tiere, doch die Augen konnten sie kein einziges Mal von den
Fackeln lassen. Das Meer aus Feuerzungen breitete sich rasch aus, man sah die
Jäger wie schwarze Dämonen umherirren, sie brüllten und riefen, mit den
Schwertern in den Händen, die sie so gern benutzt hätten, wenn Kastja es ihnen
nicht verboten hätte.
Svija weinte. Sie merkte
es kaum, sie war betäubt von ihrer ohnmächtigen Trauer. Sie konnte nichts tun,
alles war zu spät. Der Sommerwald würde sterben.
Es war zu schnell
gegangen, viel zu schnell.
Crava schluchzte auf,
sie wedelte nach Luft, ihre Augenlider flatterten.
„Raus hier, wir müssen
raus!“, schrie Fuks, er rüttelte an Svija und Crava, er zog sie hinter sich
mit. „Beeilt euch, wir müssen noch die Kinder hier rauskriegen, wir verbrennen
doch sonst.“
Egal. Svija war alles
egal. Ihre Welt, ihre kleine Welt stürzte zusammen. Ihr Ein und Alles.
Die Welt weinte und
hatte beschlossen zu sterben.
Wulf und Fuks holten die
Kinder aus dem Speisezimmer und gemeinsam traten sie aus dem Haus in den Wald
hinein. Svija überquerte sehr langsam die Schwelle, Tränen liefen und liefen
und kühlten ihre Wangen. Amber drehte sich mitten in den Flammen im Kreis, ihre
weißen Haare umtanzen ihr Gesicht.
„Svija!“ Sie rannte auf
sie zu, packte sie an der Hand und rannte.
Ich kann nicht, ich kann nicht, ich will den Sommerwald nicht
wieder verlassen, nicht schon wieder …
„Nun wein doch nicht,
renn lieber, renn um dein Leben!“
Die Flammen umtosten
sie, schossen an ihren Kleidern vorbei, züngelten an ihren Füßen, ihren nackten
Füßen. Der Sommerwald ächzte, brach in sich zusammen, Bäume knackten und
drohten die fliehenden Schemen unter sich zu begraben.
Überall war es hell,
gelb und rot, die Blätter an den Bäumen
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