Mondschwingen (German Edition)
Boden ab. Linus und Svija flogen nebeneinander, dicht über
der Schneedecke. „Wir fliegen einige Schritte neben dem Weg, man weiß nie, wem
man da begegnet.“
Es war nicht sehr schwer, der Fliegenden
Burg den Rücken zu kehren und davonzufliegen. Natürlich hatte Fumo recht
gehabt; er würde gehen. Es tat ihm leid ihn zurückzulassen, doch er wusste
auch, dass die Burg nicht sein Zuhause war.
Die nächsten Tage würden gefährlich werden.
Die Dunkelmondburg war kein schönes Ziel, ein Hort, ein Nest voller Feinde.
Linus wäre am liebsten zu Svija geflogen,
hätte ihre Hand gehalten, damit er sich auch sicher sein konnte, dass sie da
war, wirklich da. Er hatte sie ein wenig vermisst in dieser kurzen Zeit. Sie,
die neben Fumo die einzige war, die ihm etwas in seinem neuen Leben bedeutete.
Es wurde dunkel und Amber konnte noch immer
kaum aufhören mit reden. Linus‘ Beine wurden schwer, denn er war selten so lang
am Stück geflogen.
„Wir machen eine Rast. Ein paar Stunden.
Dann müssen wir weiter.“ Amber hörte sich an, als dulde sie keinerlei
Widerrede. „Vermutlich sind die Sternenjäger sowieso schon längst in ihrer
Burg.“
„Feuer zu machen dürfte unmöglich sein“,
stellte Linus fest und schwebte widerwillig zum Boden hinunter. Der Schnee
zwängte sich unter seine Hose und schmolz eiskalt an seinen Beinen hinab.
Widerlicher, fürchterlicher Winter.
„Was würde ich jetzt geben, zurück in den
Sommerwald zu gehen! Wenn ich könnte, wenn ich nicht wüsste, was mit Gwaedja
passiert ist.“ Amber stand verloren inmitten all dem Weiß und wirkte wie
festgefroren.
„Wenn dir der Wald etwas bedeutet hätte,
wärst du nicht so oft fortgegangen, zu deiner Diebesbande. Wenn er dir etwas
bedeutet hätte, hättest du um den Sommerwald geweint, nur ein kleines
bisschen.“ Svijas Worte kamen ganz schnell. Vielleicht war es die Müdigkeit,
die Trauer wegen des Waldes, wegen diesem langen Weg hierher.
Amber schaute sie lange an. „Du hättest
nicht mitkommen müssen. Du hättest dich in deinem brennenden Wald verkriechen
können. Ich hab dir nicht gesagt, dass du mitgehen sollst. Es ist meine Mutter,
nicht deine. Ich dachte nur, wir sind Freunde.“
„Ich
bin nur mit dir gekommen, weil ich gedacht habe, dass du es willst.“
„Wenn das dein Ernst ist, dann gehe ich
allein weiter.“ Amber war ruhig, sie schaute überhaupt nicht zornig aus. „Ich
würde dich verstehen, denke ich. Das alles … es ist so gefährlich, weißt du.“
Man sah Svija an, dass sie den Zorn hinunterschluckte,
widerwillig, so gut es ging.
„Ich
frag dich, ein einziges Mal, das erste und letzte Mal: willst du gehen?“
Svija sagte nichts, weil sie nicht konnte.
Die Nacht war stumm und starr. Hatte
aufgehört zu atmen.
Amber nickte. „Es ist wohl besser so.“ Sie
gab Svija einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. „Ich will nicht, dass dir
meinetwegen etwas passiert, Svija. Finde erst noch heraus, wohin du gehörst.
Fang an zu leben in der neuen Welt, dir wird nichts anderes übrig bleiben.“ Sie
wandte sich um und glitt davon, knapp über der Schneedecke.
Svija ließ sich in den Schnee fallen und
schaute mit großen Augen nach vorn, an Linus vorbei.
„Und jetzt?“, fragte er zögerlich. „Was
jetzt?“
Nach
einer Ewigkeit zuckte Svija mit den Schultern. „Das weiß ich doch auch nicht.“
Sie schüttelte den Kopf, ohne etwas zu sagen.
Linus setzte sich neben sie in den Schnee.
„Willst du ihr nicht helfen?“
Svija sah ihn böse an, aber öffnete noch
immer nicht den Mund. Sie sah so kalt aus, so furchtbar kalt.
„Wo willst du hin? Zurück? Ich werde nicht
mitkommen, das weißt du.“
„Du vertraust noch immer den Worten eines
Sterbenden“, bemerkte sie hämisch und senkte gleich darauf den Kopf, als
schämte sie sich für ihre Worte.
„Wir werden gemeinsam nach Skopenvang
gehen“, sagte sie irgendwann. Sie saßen mittlerweile Rücken an Rücken, niemand
von ihnen hatte die Augen geschlossen.
„Ich weiß nicht wie, aber irgendwie muss es
möglich sein, oder nicht?“
Ihre
Worte waren wie eine Erlösung. Insgeheim hatte Linus all die Zeit, in der sie
hier so gesessen hatten, darauf gewartet. Zu zweit erschien es ihm nicht so
furchtbar schwer, sein Ziel zu erreichen. Und gleichzeitig tat ihm das
weißhaarige Mädchen leid, das jetzt allein weiterging, obwohl es das doch gar
nicht wollte.
„Es
war kein schöner Abschied. Ich weiß nicht, ob es richtig war.“
Svija weinte, das spürte er. Er
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