MondSilberTraum (MondLichtSaga) (German Edition)
dachte an mein Buch über die Gwragedd Annwn und die seltsame Geschichte darin. Ich sollte davon erzählen. Aber etwas hielt mich zurück. Ich würde erst zu Ende lesen und dann entscheiden, was mit den Informationen anzufangen war.
In der Nacht schlich ich hinunter in den Flur. Ich hatte nicht einschlafen können. Ich musste wissen, was in der Geschichte weiter geschah, was aus dem Vater und seiner Tochter geworden war. Eine einsame Kerze erhellte den Flur mit unruhig flackerndem Licht. Ich nahm den Kerzenständer in die eine Hand und fischte das Buch mit der anderen aus der Kommode. Dann ging ich in die Küche und setze mich auf die Ofenbank.
Nur langsam formten seine Lippen die komplizierten Worte, die am oberen Rand des Spiegels eingraviert waren. Doch kaum hatte die letzte Silbe seine Lippen verlassen, begann der Spiegel zu flackern. Ein Bild manifestierte sich auf der silbern schimmernden Fläche. Der Vater trat einen Schritt näher, denn in dem Spiegel sah er die, die er so lange gesucht hatte. Seine Tochter lächelte ihn traurig an. »Vater«, sprach sie. »Nach so langer Zeit hast du mich endlich gefunden.«
Der Vater versuchte nach ihr zu greifen. Er versuchte, seine Tochter aus dem Spiegel zu ziehen, doch er griff ins Leere.
»Nein, Vater«, sagte seine Tochter in einem Tonfall, der ihn innehalten ließ. »Ich kann nicht zu dir zurückkehren. Mein Körper ist längst zu unserer Göttin gewechselt.«
Entsetzt sah der Vater auf das Ebenbild seiner Tochter, die durch den Spiegel mit ihm sprach.
»Wie kann das sein?«, stammelte er. »Ich sehe dich. Der Spiegel hält dich gefangen. Ich werde ihn zerstören und du wirst frei sein.«
Die Tochter schüttelte bedauernd ihre blonden Locken.
»Ich bin frei, Vater. Bei unserer Göttin bin ich freier, als ich je war. Aber ich habe eine Aufgabe zu erfüllen und ich möchte, dass du mir hilfst. Wirst du das tun?«
Tränen traten dem alten Mann in die Augen, während er sprach: »Sollte ich dich wirklich verloren haben, so werde ich dir im Tode ein besserer Vater sein als im Leben. Sprich, was verlangst du?«
»Dieser Spiegel hier, Vater, er ist Hexenwerk. Ich verlange von dir, dass du ihn vernichtest.«
Der Vater schüttelte entsetzt den Kopf. »Aber habe ich den Spiegel, so kann ich dich wenigstens immer noch sehen.«
Die Tochter sah ihn erst an. »Nein, Vater, das kannst du nicht. Man kann die Toten nur einmal rufen. Und nun hör mir zu, bevor die Undinen zurückkommen und dich finden. Sie würden dich töten, wie sie mich getötet haben.«
Entsetzt taumelte der alte Mann zurück. Doch er widersprach seiner Tochter nicht mehr. Gebannt lauschte er ihren Worten.
»Dieser Spiegel vereint alle Magie der Undinen, derer sie fähig sind. Mithilfe der Zaubersprüche, die du am Rande des Spiegels siehst, sind die Undinen in der Lage, jedes Wesen der magischen Welt zu sehen. Niemand ist vor ihnen sicher, niemand außer den Menschen.
Sie haben meinen Liebsten getötet, denn er weigerte sich, ihnen seine Seele zu überlassen. Der Gram darüber hat mich sterben lassen.
Du, Vater, musst verhindern, dass anderen dasselbe widerfährt. Du musst den Spiegel zerstören. Versprich es mir. Die Undinen führen nichts Gutes im Schilde. Sie sind auf der Suche nach dem Einen, dem Ersten, der ihnen freiwillig seine Seele darbietet. Mit dessen Hilfe werden sie unendliche Macht über die magischen Völker erlangen. Du kannst das verhindern, indem du dein Versprechen einlöst. Sobald sie diesen Einen gefunden haben, werden viele andere folgen. Ist eine Seele einmal geraubt, vermag die Undine auch den Körper des Mannes in Besitz zu nehmen. Er vergisst jede vorherige Erinnerung, wenn die Undine dies will. Jede Liebe, jede Trauer, jedes Glück ist für immer verloren. Hass jedoch verstärkt sich hundertfach.«
Das Bild verschwamm vor den Augen des Vaters. Er sprang auf. »Bitte bleib. Geh nicht. Ich bitte dich, verzeih mir«, rief er dem entschwindenden Bild hinterher. Doch er bekam keine Antwort mehr. Wieder und wieder murmelte er den Zauberspruch in der Hoffnung, die Tochter zurückzuholen. Doch der Spiegel blieb dunkel und stumm.
Als der Vater endlich einsah, dass er seine Tochter nicht noch einmal zurückholen konnte, sah er sich nach einem geeigneten Werkzeug um, um ihren letzten Wunsch zu erfüllen. Er wollte den Spiegel vernichten, hier und jetzt. Er griff nach einem Stein, der in der Grotte lag. Doch vergeblich versuchte er, die Barriere des Spiegels zu
Weitere Kostenlose Bücher