Moni träumt vom großen Glück
mit Jutta selber zu tun, sondern mit ihrem Bruder Walter. Er war ein paar Jahre älter als Jutta. Ein abscheulicher Kerl, ich hatte ihn nie ausstehen können, und hatte ihn ein paar Jahre gemieden, so gut es ging. Immer ging es nicht, dazu ist unsere Stadt zu klein! Er war vorlaut und frech – „so ein scheußlicher Halbstarker“, sagten die Leute, wenn Walter Branders Name erwähnt wurde.
Ob Jutta wußte, was damals vor etwa einem Jahr mit Walter und mir passiert war?
Nun, es war kein großes Ereignis, aber unangenehm genug. Ich hatte einen Nachmittag mit Inge zusammen die Schularbeiten gemacht und ging gegen Abend nach Hause. Ich trug drei Schulbücher in der Hand, die mit einem Riemen zusammengeschnallt waren. Unterwegs hörte ich Schritte hinter mir, eine Hand wurde auf meine Schulter gelegt, und ich hörte Walters Stimme:
„Ei ei, ein so hübsches Mädchen ganz allein so spät? Dich muß man wohl nach Hause bringen?“
„Das mußt du gar nicht, Walter. Ich gehe sogar sehr gern allein.“
„Aha, dann haste wohl eine Verabredung, was? Den möchte ich mal sehen.“
„Laß mich in Ruhe und rede keinen Unsinn!“ Ich trat zur Seite, als er versuchte, den Arm um meine Schultern zu legen.
Ich wurde ihn nicht los. Ich ging schnell, und er blieb neben mir. Ob er getrunken hatte oder was sonst?
Vor unserem Gartentor hielt er mich fest. „So, nun bedanke dich schön für Schutz und Begleitung. Oder lädst du mich mit rein?“
„Ja, wenn Ostersonntag in die Weihnachtswoche fällt. Laß mich nun endlich in Ruhe!“
Er zog mich näher an sich, ich merkte seinen Atem gegen mein Gesicht. Ich war wütend. Wie konnte er es wagen, der freche Kerl?
Er kam nicht dazu, mich zu küssen. Es gelang mir, meinen rechten Arm frei zu machen. Mein Bücherpaket schlug ich direkt an seinen Kopf.
Es war nicht meine Absicht, ihm ernstlich weh zu tun, und ich konnte nichts dafür, daß eine Buchecke ihn ins Auge traf. Er fluchte laut, ließ mich los, und ich rannte ins Haus.
Zwei Tage später sah ich ihn mit einer schwarzen Augenklappe auf der Straße. Aber nach einer Woche sah er wieder ziemlich normal aus. Ich atmete erleichtert auf.
Diese Geschichte flog mir durch den Kopf, als Jutta und ich dastanden und unsere Sandtorte kauten. Ob Jutta wohl Bescheid darüber wußte? Wahrscheinlich nicht. Niemand hatte uns gesehen, und Walter hatte es wohl der Schwester kaum erzählt. Er hatte bestimmt irgendeine Erklärung für sein verletztes Auge erfunden.
Aber diese Geschichte trug ja nicht gerade dazu bei, die Freundschaft zwischen Jutta und mir zu fördern. So blieben wir da stehen, ohne mehr Worte zu wechseln, bis es zur nächsten Stunde läutete.
Als die Schule aus war, wanderte ich in die Stadt. Ich ging die mir jetzt gut bekannte Straße zur Bank. Schon wieder hatte ich zehn Mark zusammengekratzt. Nachher mußte ich an der Post Briefmarken holen. In der Tür stieß ich mit Ruth und Melitta zusammen.
„Sieh mal an“, sagte Melitta. „Da ist bestimmt noch eine, die Zahlkarten für die Fernsehlotterie holen will.“
„Eigentlich nicht, aber das wäre vielleicht eine Idee! Vielleicht gewinne ich.“
Drinnen im Postamt war es proppenvoll. Eine lange Menschenschlange – hauptsächlich alte Menschen – hatte sich angesammelt.
„Ach, Kinder“, sagte Melitta. „Es ist ja Zahltag für die Rentner! Na, dann kommt man, unsere Zahlkarten kriegen wir an dem anderen Schalter.“ Aber ich blieb stehen. Mitten in der Schlange, zwischen zwei alten Frauen, sah ich eine bekannte Gestalt. Ich lief auf sie zu.
„Marc, bist du es? Ich habe dich ewig nicht gesehen. Warum zeigst du dich nicht bei uns?“
Marc lächelte ein bißchen befangen. „Sollte ich das denn, Moni? Von mir hören lassen? Ich dachte, daß du vielleicht…“
„Ja“, sagte ich. „Ich wollte von mir hören lassen, aber ich wollte warten, bis Mutti wieder Vormittagsdienst hat. Noch hat sie Nachtdienst, aber ab Montag ist es soweit, und dann wollten wir dich einladen, falls du Zeit hast und Lust zu kommen!“
„Zeit habe ich ja eigentlich sehr wenig“, sagte Marc. „Aber du weißt, abends ein paar Stunden, bevor ich zu meinen Waggons gehe, kann ich mich schon freimachen.“
„Großartig, Marc, dann könntest du vielleicht Abendbrot bei uns essen. Wollen wir gleich einen Tag verabreden? Mutti ist das recht, das weiß ich. Montag fängt ihr Vormittagsdienst an. Wie wäre es mit Dienstag?“
„Ja, tausend Dank, sehr gern natürlich, wenn es deiner Mutter
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