Moni träumt vom großen Glück
dürfen. Ja, na ja, um es kurz zu machen: Vorgestern habe ich doch einen Auftrag übernommen. Und ich bin sehr spät nach Haus gekommen, weil die Leute mich buchstäblich sitzenließen. Ich habe es dir nicht gesagt. Ich habe gesagt, daß ich mich mit meinem Französischen beschäftigt hätte. Das stimmt, Mutti, ich habe nicht gelogen. Ich habe nur verschwiegen. Das stimmt, denn die ganze Zeit, als ich da saß, habe ich an meinen französischen Aufgaben gearbeitet. – Also, ich habe es gemacht, und ich werde es nicht mehr tun, Mutti. Es war ein abscheuliches Gefühl hinterher. Aber Mutti, ich habe ganz schrecklich viel verdient. Bist du mir jetzt böse?“
Ein kleines Lächeln ging über Muttis Gesicht.
„Ich danke dir, daß du es mir gesagt hast, Moni. Nun ja, ein bißchen böse bin ich, aber nur ein bißchen. Ich wußte es nämlich.“
„Was, du hast es gewußt?“
„Ja, zufällig habe ich es gewußt. Als ich gestern früh nach Haus kam, hattest du dich anscheinend sehr schnell ausgezogen. Dein Pullover war auf den Fußboden gefallen, und ich habe ihn aufgehoben, und er war noch ganz körperwarm. Da wußte ich, daß du sehr spät ins Bett gegangen warst. Und noch etwas: Ich hatte dich gegen halb zehn angerufen, das heißt, ich hatte versucht, dich anzurufen. Ich wollte dich bitten, die Erbsen einzuweichen für das Mittagessen gestern. Dann habe ich es etwas später versucht, und du warst noch nicht da.“
„Aber Mutti, warum hast du nichts gesagt?“
„Weil ich so innig hoffte und wünschte, daß du es sagen würdest, mein Kind.“
Ich stand auf, ging hin zu Mutti und legte ihr die Arme um den Hals.
„Mutti, du bist einmalig!“
Mutti streichelte mir übers Haar. „Na, und wo hast du nun deine Schandtaten vollbracht, du böses Mädchen? Ich meine, wo hast du das Babysitten gemacht?“
„Ach, das war bei einer Familie Clausen in der Großen Steinstraße 14.“
„Große Steinstraße 14…“, wiederholte Mutti. „Woher habe ich nur die Adresse? Wen kenne ich da? Ach, richtig, ich weiß. Dort wohnt ja der alte Herr Becker.“
Ich merkte es selbst, wie meine Gesichtsfarbe sich sehr änderte in Richtung rötlich.
„Ja, das stimmt, Herr Becker wohnt da, aber er ist nicht alt. Er ist höchstens 23.“
„Das wird der Enkel sein. Ich meinte den alten. Der arme alte einsame Herr Becker! Der war doch so glücklich, als sein Enkel vor ein paar Monaten kam, um bei ihm zu wohnen und ihn auf Lebzeiten zu versorgen. Du siehst mir aber so komisch aus, Moni! Hast du zufällig den Enkel kennengelernt?“
„Ja“, sagte ich eifrig, „und das wollte ich dir gerade erzählen. Er ist ein feiner Kerl. Nun paß mal auf, Mutti, ich werde dir alles erzählen, wie es kam, und wie er mich rettete, als ich ganz kurz vor dem Verzweifeln war.“
Dann erzählte ich von meinem Abend bei Familie Clausen, von dem kleinen französischen Schreihals, und wie Marc gekommen war und die Situation gerettet hatte. Ich erzählte auch, daß er gestern abend hier gewesen war und mein märchenhaftes Honorar gebracht hatte.
„Aber Mutti“, fügte ich hinzu, „wie in aller Welt kommt es, daß du den Großvater von Marc Becker kennst?“
„Kennen tu ich ihn eigentlich nicht. Es war irgendeine Kollegin von mir, die zufällig von ihm erzählte. Der alte Mann tat mir leid. Er war ganz allein. Sein einziger Sohn ist im Krieg gefallen, und er saß da, ohne Familie. Weißt du, das Alleinsein ist eine Tragödie, Moni, wenn man alt und pflegebedürftig wird. Und mit den Altersheimen ist es nun nicht immer so, wie es sein sollte; hier in unserer Stadt schon gar nicht. Es sähe schlecht aus für den alten Herrn Becker, wenn der Enkel nicht gekommen wäre.“
„Ach, jetzt begreife ich“, sagte ich.
„Was begreifst du?“
„Ich begreife, daß Marc nachts arbeitet. Tagsüber muß er sich wohl um den Opa kümmern.“
„Weißt du, was er tut?“
„Er macht Eisenbahnwagen sauber, nachts.“
„Respekt!“ sagte Mutti. „Aber siehst du, Moni, so was kann ein junger Mann tun, doch ein junges Mädchen, das noch zur Schule geht und die Absicht hat, sogar Abitur zu machen, das kann nicht nachts arbeiten, wie gern sie auch Geld sammeln und sparen möchte. Und mitten in der Nacht durch die Stadt sausen.“
„Nein, das ist mir auch langsam klargeworden“, sagte ich. „Übrigens, Mutti, Marc wird bestimmt gern einmal kommen, wenn du zu Hause bist.“ Mutti lächelte.
„Ja. Dann lade den jungen Mann nur ein, Moni, er soll mir herzlich
Weitere Kostenlose Bücher