Monrepos oder die Kaelte der Macht
Gundelach stand auf.
Zum Beispiel ›Die Bundesrepublik in den achtziger Jahren‹? fragte er.
Nicht übel. Noch besser wäre: ›Europa in den achtziger Jahren‹. Da haben wir noch die Außenpolitik mit drin.
Dann nehmen wir doch gleich: ›Die Welt auf dem Weg ins Jahr Zweitausend!‹ Das schreit nach Visionen.
Gundelach betrachtete es als Scherz.
Sehr gut, sagte Wiener ohne jedes Lächeln. So langsam begreifen Sie, worum’s geht. – Hallo? Ach, Edi, du bist’s, grüß dich, altes Haus. Sag mal, was für einen Scheißkommentar hast du denn da neulich geschrieben? Ja, der zur Wohnungsbauförderung. Der Oskar sagt, du hättest nicht die geringste Ahnung davon …
Ja, der Wohnungsbau! Die Stadt- und Dorferneuerung! Der Straßenbau! Die Mittelstandsförderung! Der Technologietransfer! Die Energiepolitik! Und zum werweißwievielten Mal: Die Steuerpolitik!
Einstweilen schien Oskar Specht mit dem Umkrempeln des Landes noch ausgelastet. Wiener hatte ihm ja auch zwei bis drei Jahre Frist gegeben, um sich totzulaufen. Doch bis dahin, eine gewonnene Wahl im Rücken, reichlich gesammelte Erfahrungen im Umgang mit Geist- und Machteliten im Hinterkopf, würde Specht ruhiger werden. Gelassener, souveräner. Vielleicht sogar weniger rechthaberisch. Tom Wieners Programm war auf lange Sicht angelegt.
Vorerst hielt Specht das Land und die Medien aber noch in Atem und brachte seine Minister und die Verwaltung auf Trab. Ein Museumsdirektor meinte in schmerzlicher Erinnerung an die Kaiserausstellung und ihren Gipfelpunkt Friedrich II., den man schon zu Lebzeiten stupor mundi , das Staunen der Welt, genannt hatte: Jetzt hat das Land wieder ein stupor mundi. Nur weiß er nicht, was das ist.
Es war der Hochmut der klassisch Gebildeten, die Breisinger nachzutrauern begannen. Abschätzig nannten sie seinen Nachfolger: Oskarle. Es sollte sich rächen. Jahre später fühlte sich Specht stark genug, den Geisteswissenschaften den Kampf anzusagen. Er verhöhnte sie als Diskussionswissenschaften und strich ihnen Geld und Lehrstühle. Niemand machte sich über einen Oskar Specht ungestraft lustig.
Das Greifbare war seine Welt. Beim Greifbaren fühlte er sich unangreifbar. Vom Wohnungsbau hatte bisher niemand in der Regierung etwas verstanden, auch nicht der zuständige Minister. Siebzehntausend Wohnungen besaß das Land. Wozu, um Gottes willen? Die Mieter sollten gefälligst anfangen, ihre Wohnungen als Eigentum zu erwerben.
Dann fließt mehr privates Geld in den Investitionssektor statt in den Konsum, sagte er, das kommt der Vermögensbildung zugute, bremst die Inflationsrate und belebt das Ausbaugewerbe. Die Leute kaufen eine neue Einbauküche und holen sich ihren Sonnenbrand daheim auf dem Balkon statt auf Mallorca, und der Staat bekommt Geld in die Kasse, das er sinnvoller als für Mietsubventionen einsetzen kann, zum Beispiel für die Stadt- und Dorfsanierung.
Alles stimmte also an dem Konzept. Bei fünfzehnhundert Landeswohnungen lief die Zins- und Belegungsbindung aus, sie wurden privatisiert. Prompt verlangte die Opposition neue Sozialwohnungen. Da kam sie an den Richtigen!
Also, sagte Specht am Rednerpult des Landtages, lassen Sie uns mal rechnen. Der Bau einer Sozialwohnung, hundert Quadratmeter, kostet in Ballungsgebieten dreihundertfünfzigtausend Mark, mindestens. Ergibt bei den gegenwärtigen Zinsen, Abschreibungen, Rückstellungen undsoweiter eingerechnet, eine Jahreskostenmiete von, grob gerechnet, dreißigtausend oder eine monatliche Kostenmiete von zweifünf oder eine Miete pro Quadratmeter von fünfundzwanzig Mark. Richtig? So. Von den fünfundzwanzig Mark zahlt der Mieter sechs und der Staat neunzehn. Knapp dreiundzwanzigtausend Mark schenkt der Staat also jedes Jahr dem, der das Glück hat, eine Sozialwohnung zu kriegen. Ist das etwa sozial gerecht? Das ist ein in Raten ausbezahlter Sechser im Lotto, nichts anderes!
Meppens, der Stille, in Ethik- und Grundwertfragen ungleich besser als in den Derbheiten des täglichen Lebens Bewanderte, versuchte dagegen zu halten: Specht kümmere sich beim Straßenbau ja auch nicht um das Kostenmoment, sagte er, und die Verteilungsgerechtigkeit zwischen Autobesitzern und Umweltschützern habe ihm noch nie schlaflose Nächte bereitet. Aber in Spechts technokratischem Weltbild hätte das Auto eben einen höheren Stellenwert als eine wohnungssuchende Familie.
Ha! Specht, erneut auf die Rednerliste gesetzt, konnte es kaum erwarten, zum Zweitschlag ausholen zu dürfen.
Er nehme
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