Monrepos oder die Kaelte der Macht
Weggang an die Spitze aufgerückt waren, in die dortigen Häuser. Die Zeit der Stellvertreter war vorbei. Juristen, die in jeder Suppe ein Büschel Haare fanden, waren das letzte, was Oskar Specht ertrug. Bedenkenträger auf Lebenszeit nannte er sie. Zu Breisinger mochten sie gepaßt haben. Zu ihm nicht.
Er wolle nicht wissen, warum etwas nicht gehe, sagte er immer wieder, sondern wie das, was er wolle, in die Tat umgesetzt werden könne. Das möge man, bitteschön, endlich begreifen.
Bolder zum Beispiel begriff es nicht. Schon als Specht sich beim Kirschkernspucken maß, hatte er aus dem Urlaub eine Postkarte geschrieben: Er habe das Bild des spuckenden Ministerpräsidenten in der Zeitung gesehen und könne nur hoffen, daß es sich dabei um eine Verwechslung handle, im Interesse der Würde des Armes. Nach einigen weiteren Unbotmäßigkeiten war auch seine Zeit auf Monrepos abgelaufen. Er wurde, kaum daß er die Verwaltungsabteilung übernommen hatte, als Parlamentarischer Berater der Fraktion in die Landtagsverwaltung expediert.
So ordnete Oskar Specht seinen ›Laden‹.
Tom Wiener, der jetzt offiziell als Regierungssprecher firmierte und jeden Mitarbeiter anwies, sich diesen Terminus zueigen zu machen, um früher übliche Verunzierungen seiner Position als ›Leiter der Pressestelle‹ ein für allemal aus dem Sprachgebrauch zu tilgen – Wiener also, mit den Insignien eines neuen Briefkopfes ausgestattet, der dem des Staatssekretärs täuschend ähnlich sah, lud eines Tages, kurz nachdem das Revirement abgeschlossen war, seinen gerade zum Oberregierungsrat aufgerückten Untergebenen Bernhard Gundelach zu sich und sagte, den Blick bedeutungsvoll zur Decke gerichtet:
Wir müssen uns mal grundsätzlich darüber unterhalten, wie es mit dem Oskar weitergehen soll.
Gundelach verstand nicht und schaute ebenfalls fragend nach oben.
Ich meine, es muß jetzt langsam Linie in seine Politik reinkommen, setzte Wiener erläuternd hinzu. Bisher rennt er ja bloß mit einem Bauchladen voller Einfälle rum und erfindet jeden Tag was Neues. Begreifen Sie noch, was er mit der Steuergeschichte eigentlich will? Na also. Mal erhöht er Verbrauchssteuern, mal möchte er welche abschaffen. Mal sind es dreißig Milliarden, die der Staat angeblich zu viel kassiert, dann wieder fünfzig. Und immer wird die Knete gleich wieder ausgegeben, je nachdem, was ihm gerade wichtig ist. Finden Sie das überzeugend?
Nein, sagte Gundelach. Aber es kommt gut an.
Das schon, und bis zur Landtagswahl können wir’s auch so laufen lassen. Trotzdem müssen wir uns schon jetzt Gedanken machen, was danach kommt. Oskars Bekanntheitskurve steigt rapide. Bis Jahresende liegt sie bei fünfundneunzig Prozent, schätze ich mal. Dann ist der Teil abgehakt. Aber irgendwann fangen die Leute an zu fragen, wofür der Specht denn nun eigentlich steht. Inhaltlich, meine ich.
Tja, sagte Gundelach nicht ohne inneres Behagen, auf die Antwort sind wir alle gespannt.
Wiener lachte. Passen Sie bloß auf, sagte er gutgelaunt. Ich nimm das nicht mehr lange hin. Nächstes Mal versetze ich Sie ins Archiv.
Auch das war ein Spechtscher Wunschtraum: widerborstige Beamte im Handumdrehen versetzen zu können. Ins Archiv zum Beispiel. Archive galten ihm als Inbegriff der Nutzlosigkeit. Lauter totes gestapeltes Wissen. Und bleiche, spitznasige Gesellen, die den Muff verwalteten, mit Ärmelschonern und gebeugtem Nacken. Archive kamen gleich nach Friedhöfen. Jemanden dorthin strafzuversetzen, hieß in Spechts Verständnis, ihn legal umzubringen. Er drohte es so oft an, daß ihm der Chef der Archivverwaltung eines Tages einen langen, empörten Brief schrieb. Da er ihn auch an die Öffentlichkeit lancierte, machte Specht eilends einen Rückzieher und versicherte dem Gekränkten, daß er seine Arbeit für außerordentlich verdienstvoll halte. Dann erzählte er es den Journalisten und amüsierte sich königlich.
Die Auflösung der Grundsatzabteilung, fuhr Wiener in ernsthaftem Ton fort, ist natürlich eine zweischneidige Sache. Die Maßnahme an sich ist hundertprozentig richtig. Als ideologische Tugendwächter, wie unter Müller-Prellwitz, haben die Vierer ausgedient, und als bürokratische Bremser, wie unter Bolder, können wir sie nicht brauchen. Aber die Optik ist schädlich. Specht, ein Mann ohne Grundsätze und ohne intellektuellen Tiefgang. Das setzt sich schnell in den Köpfen fest.
Gundelach war erstaunt über die Eindringlichkeit, mit der Wiener seine Überlegungen
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