Monrepos oder die Kaelte der Macht
sich. Ohne sie lief nichts. Nach Breisingers Rausschmiß beantragte Specht, den Altministerpräsidenten, der nur noch selten aus seiner maskenhaften Starre erwachte, wenigstens in den vielköpfigen Parteivorstand aufzunehmen. Es klappte, und die Delegierten erfreuten sich abends an barbusigen Gogo-Girls, die der Generalsekretär zur Entspannung aufgeboten hatte.
Tom Wiener und Bernhard Gundelach ließen sich unterdessen nach Hamburg ins Hotel Vier Jahreszeiten fahren. Dort wartete Dr. Gerstäcker auf sie. Er hatte mit dem achtundsiebzigjährigen Sören Tendvall den Besuch vorbesprochen, den Specht, Wiener und Gundelach nach Abschluß des Parteitags planten.
Der alte Herr sei mit allen Vorschlägen einverstanden, berichtete Gerstäcker. Man könne also darangehen, den ersten Gesprächskreis mit Herrn Specht zu konzipieren. Gundelach zog ein Papier aus der Aktentasche: der Wunschkatalog der Staatskanzlei. Gerstäcker legte gleichfalls eine Liste auf den Tisch – wichtige Geschäftspartner der Tendvall-Werke. Sie verglichen, strichen, hakten ab. Etwa vierzig Namen blieben übrig: Esser, Rodenstock, Stingl, Benda, Emminger, Engels … Ein Querschnitt durch Justiz, Banken und Industrieadel. Dazu zwei Bischöfe, von jeder Konfession einer, und Professoren, die aber in sparsamer Dosierung. Das passende Hotel zu finden, bereitete wenig Mühe. Im Land gab es noble Unterkünfte mit dem Komfort Schweizer Grandhotels und viel Natur außenherum. Das nobelste war das Kurhotel Unterstein.
Wir nennen das Ding von Anfang an Untersteiner Gespräche, sagte Wiener. Das klingt nach Tradition und Exklusivität, so wie Bergedorfer Gesprächskreis oder Pyrmonter Unternehmergespräche. Und wir bieten nur das Feinste vom Feinen. Da können sich die anderen verstecken. Es wird natürlich nicht ganz billig.
Das kriegen wir hin, sagt Dr. Gerstäcker.
Und das Thema? Ja, darüber mußte man wohl noch einmal sprechen. Da schien Herr Tendvall so seine eigenen Vorstellungen zu haben. Die weltweite Bevölkerungsexplosion trieb ihn um. Dr. Gerstäcker deutete an, daß man insoweit etwas diplomatisch vorgehen müsse. Natürlich komme es nicht in Frage, die illustre Runde gleich zu Beginn damit zu behelligen. Aber Sören Tendvall gegenüber ein gewisses Interesse zu signalisieren, wäre doch hilfreich. Zumal es sich ja wirklich um ein dringendes Problem handle, das man, in anderer Form vielleicht, einmal aufbereiten könnte …
Wiener nickte verständnisvoll: Also, das Thema lassen wir am besten noch offen, bis Specht selbst mit Tendvall gesprochen hat.
Nach dem Essen tranken sie in der holzgetäfelten Bar Martini und Gin Tonic.
Auf jeden Fall, sagte Dr. Gerstäcker, sollten der Ministerpräsident und Sören Tendvall auch über Bundespolitisches miteinander reden. Die Schwäche Helmut Kohls beunruhige den alten Herrn sehr. Und die Vorstellung, daß Franz Josef Strauß der nächste Kanzlerkandidat der Union werden könnte, noch mehr. Dann doch lieber Albrecht, der niedersächsische Ministerpräsident, obwohl an dem auch manches auszusetzen sei. Aber der komme immerhin an, im Norden.
Tom Wiener rührte skeptisch im Glas. An Strauß führt kaum ein Weg vorbei, sagte er. Und wir im Süden müssen da, schon wegen der Rechtslastigkeit ländlicher CDU-Kreise, besonders vorsichtig sein. Schon der Specht ist vielen zu liberal. Und zwischen Albrecht und ihm gibt es natürlich ein gewisses – Konkurrenzverhältnis. Aber wir werden Oskar vor dem Treffen mit Herrn Tendvall noch etwas einstimmen. Keine Bange, in solchen Situationen ist er glänzend.
Gegen elf Uhr verabschiedeten sie sich. Dr. Gerstäcker quittierte die Rechnung. Als Gundelach an der Rezeption nach dem Zimmerschlüssel verlangte, sah er Wiener und den Rechtsanwalt beiseite treten und ein paar Worte wechseln. Sie wünschten ihm eine gute Nacht, ohne ihm zum Fahrstuhl zu folgen.
Am nächsten Morgen wurden sie von einem Fahrer der Tendvall-Werke im marineblauen Mercedes abgeholt. Gundelach saß während der Fahrt vorne auf dem Beifahrersitz und beobachtete die grasenden Kühe und Pferde seitlich der Autobahn. Wiener und Dr. Gerstäcker unterhielten sich halblaut im Fonds. Daß sie sich jetzt duzten, war trotzdem nicht zu überhören.
Die Tendvall-Werke, in einem Vorort der Stadt gelegen, erstreckten sich mehrere hundert Meter entlang der Hauptstraße. Das Verwaltungsgebäude, ein schmuckloser Klinkerbau, verdeckte die Sicht auf die Labor- und Produktionsanlagen, die hintereinander gestaffelt
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