Monrepos oder die Kaelte der Macht
Rasen deckt, den niemand mehr kennt, und sie können sagen: Das ist unser Programm, mit dem wir die Menschheit voranbringen …
Nach diesen nur noch zu erahnenden Worten schlief Sören Tendvall ein, ohne seine aufrechte Haltung zu verändern.
Dr. Gerstäcker und Tom Wiener verständigten sich mit den Augen und gingen hinaus auf den Flur. Gundelach folgte ihnen. Er empfand für den schlafenden alten Mann, dessen Gesichtszüge sich nicht entspannt hatten, eine Art wehmütiger Zuneigung.
Wenige Minuten später traf Oskar Specht, aus Kiel kommend, ein. Man unterrichtete ihn in groben Zügen. Specht lachte vergnügt über die ihm zugedachte weltpolitische Rolle.
Früher, sagte er, war Sören Tendvall eine Größe. Er hatte das Zeug zum Minister.
Eine Sekretärin wurde beauftragt, Tendvall vorsichtig zu wecken. Dann ging Specht zu ihm. Das Gespräch dauerte keine fünf Minuten. Als sich die Tür wieder öffnete, wartete schon der Fahrer mit Mantel und Hut über dem Arm, um seinen Chef nach Hause zu bringen.
Es ist alles besprochen, flüsterte Tendvall. Auf Wiedersehen, meine Herren. Ich danke Ihnen und bitte mich jetzt zu entschuldigen.
Der Fahrer half ihm in den Mantel; es dauerte quälend lange. Mit steifen Beinen, die er, um nicht schlurfen zu müssen, bei jedem Schritt ein wenig hob, was seinem Gang den schwankenden Takt eines Metronoms verlieh, entfernte sich der Ehrenvorsitzende des Aufsichtsrats der Tendvall-Werke. Specht und die anderen eilten in die entgegengesetzte Richtung. Dr. Christoph Tendvall, der älteste Sohn Sören Tendvalls und Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, erwartete sie in seinem Büro.
Sören Tendvall wandte sich auf halbem Weg noch einmal um. Mit gezogenem Hut wollte er seine Gäste verabschieden. Er grüßte den leeren Flur.
Ende April trat Rudolf Breisinger als Landesvorsitzender der CDU zurück. Das Ereignis löste nirgends mehr Betroffenheit aus. Es fügte sich nahtlos in den unaufhaltsamen Aufstieg Oskar Spechts, der keine Mühe zu haben schien, alles, was er anpackte, in den Griff zu bekommen: die Partei, die Fraktion, die Opposition, das Land.
Auch Meppens’ Stern sank. Er verbiß sich ins Thema Kernenergie und geriet in immer tiefere Gegnerschaft zur Bundesregierung. Specht dagegen konnte sich des Wohlwollens von Kanzler Schmidt sicher sein, wenn er den weiteren Ausbau der Atomkraftwerke forderte und die Erprobung des Schnellen Brüters in Kalkar begrüßte. Nur er wußte, daß für ihn der heiß umstrittene Standort Weihl bereits erledigt war; doch hütete er sich, es zu äußern. Die Zeit würde das Problem von selbst lösen.
Dringlicher waren andere Dinge. Die Lehrer probten den Aufstand. Weil tausend ›ausgebildete Lehramtskandidaten‹ – schon das Wort genügte, um Spechts Blut in Wallung zu bringen – nicht in den Schuldienst übernommen werden konnten, hagelte es Proteste und Streikandrohungen. Als hätte man ihnen nicht gerade erst zwei schulfreie Samstage im Monat beschert, krakeelten die gewerkschaftlich organisierten Pädagogen, daß einem schlecht werden konnte.
Die Achtundsechziger-Generation auf ihrem Marsch durch die Institutionen! ereiferte sich Müller-Prellwitz im Kabinett. Aber wir fassen sie ja noch mit Samthandschuhen an, wenn sie uns schon auf den Rost legen! Und durchbohrte dabei den gemütvollen Professor Dukes mit denselben wilden Blicken wie seinen Amtsvorgänger Baltus.
Specht assistierte, indem er seine gefürchtete Ich-nimm-das-nicht-mehr-hin-Miene aufsetzte und dem für Wissenschaft und Kultus verantwortlichen ministeriellen Hochschullehrer die Stirnfalte in ihrer ganzen Schärfe darbot.
Die Beamten blieben ein hoffnungsloser Fall. Für die Einführung der Vierzigstundenwoche hatten sie nicht mal ordentlich Danke gesagt. Aber man konnte – und, im Hinblick auf die nächste Landtagswahl: mußte – sie isolieren. Wenn alle anderen Bürger, die rechtschaffenen, flexiblen, risikobereiten, zufrieden waren, fielen hunderttausend pensionsberechtigte Neinsager nicht ins Gewicht. Sie sollten sich über Spechts Kreativität noch wundern!
Nach und nach purzelte ein Bouquet Gaben aus dem Füllhorn des Schloßherrn von Monrepos auf den Tisch einer freudig überraschten Bevölkerung, die Weihnachten schon hinter sich zu haben glaubte: Familiengeld für nicht berufstätige Mütter. Höhere Kindergartenzuschüsse, die Kirchen und Kommunen froh stimmten. Ein Stadt- und Dorfentwicklungsprogramm für anderthalb Milliarden, das Bürgermeistern und
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