Monrepos oder die Kaelte der Macht
freundlich, ja, aber es ist nicht wichtig. Auf mich kommt es nicht an, ich bin ein ›going man‹, an der Schwelle zum Jenseits. Was bleibt, sind Ideen. Ich habe schon Herrn von Papen 1932 ein staatlich finanziertes Beschäftigungsprogramm vorgeschlagen, aber er hat es nicht begriffen. Wissen sie, ich bin einer der Wegbereiter des Keynesianismus in Deutschland gewesen, man kann es nachlesen in meinen Schriften: ›vom deficit spending zur Volkswohlfahrt‹ und: ›Kaufkraft für alle‹. Ein vorübergehendes Ansteigen der Staatsschulden zur Finanzierung investiver Ausgaben schadet nämlich gar nichts, im Gegenteil. Man kann dadurch Hunderttausende von Wohnungen bauen und Millionen Arbeitsplätze schaffen, wie auch Keynes nachgewiesen hat. Bei vierhundert Milliarden Schulden der öffentlichen Hand und fünf Prozent Kaufkraftschwund kann der Staat – einen Augenblick …
Aus seiner Anzugjacke fingerte Tendvall ein zerknittertes Blatt und einen Bleistift hervor und warf mit zittriger Hand Zahlen aufs Papier.
Wiener beugte sich zu Gundelach und fragte halblaut: Wie heißt der Typ, von dem er redet?
Keynes, ein bekannter Ökonom, aber schon gestorben.
Können wir mit dem was anfangen?
Nein, es ist das Konzept der SPD, Konjunkturprogramme, Nachfragesteuerung, wachsende Verschuldung.
Ach, du lieber Gott! Was rechnet er denn da dauernd?
… kann der Staat jährlich vierzig Milliarden investieren, ohne die Schuldaufnahme real zu erhöhen. In zehn Jahren wären das dann vierhundert Milliarden –.
Zwanzig Milliarden, sagte Gundelach. Es sind zwanzig Milliarden pro Jahr, Herr Tendvall!
Wie?
Erneut senkte sich Sören Tendvalls Greisenhaupt, bis die Nasenspitze fast die Tischplatte berührte. Die von Altersflecken übersäten Hände mühten sich mit dem Schreiben der Nullen.
Ja, zwanzig Milliarden, das sind in zehn Jahren –.
Wir sollten zunächst das aktuelle Projekt unter Dach und Fach bringen, sagte Dr. Gerstäcker. Darf ich fürs Protokoll festhalten, daß Sie mit der Finanzierung eines Gesprächskreises durch die Tendvall-Stiftung einverstanden sind? Die Themen werden jeweils vorher einvernehmlich festgelegt, die inhaltliche Vorbereitung übernimmt die Staatskanzlei. Über den Tagungsort und die Einladungsliste haben wir uns bereits verständigt. Wir werden die Stiftungssatzung möglicherweise ändern müssen, das lasse ich prüfen. An der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde habe ich keinen Zweifel.
Ja, sagte Sören Tendvall. Die Hände hielten den Bleistift umklammert.
Das ist alles nur ein Anfang! rief Tom Wiener. Wir können große, internationale Symposien zusammen machen und eine Schriftenreihe aufbauen, die Sie und Oskar Specht gemeinsam herausgeben. Deutschland braucht eine Politik der geistigen Erneuerung, und Europa genauso. Schauen Sie sich den desolaten Zustand der EG doch nur mal an, die Sklerose des alten Kontinents ist doch beängstigend –.
Ja, sagte Tendvall melancholisch. Wir sind ein aussterbendes Geschlecht.
Noch nicht, Herr Tendvall, noch nicht. Männer wie Sie und Specht können es verhindern!
Jetzt öffnete der alte Mann die Augen. Ein dünner Film trübte die Pupillen, deren Leuchtkraft sich wie in einem Schleier verfing.
Man müßte ein Menschheitsprogramm machen, sagte er träumerisch. Zielsetzung: Nicht mehr als eine Milliarde Menschen. Das kann die Erde tragen. Einkindfamilie, Geburtenkontrolle, dafür großzügige Entwicklungshilfe. Wohnungen für alle. Dann hören die Flüchtlingsströme auf. Und die Kriege. Ich will Ihnen etwas verraten …
Seine Stimme wurde noch leiser, so daß die Zuhörer die Hälse strecken und die tonlosen Worte von seinen Lippen abpflücken mußten.
Ich habe den Entwurf globaler Leitlinien in meinem Schreibtisch verwahrt. Zehn universelle Gebote für ein friedliches, humanes und ökologisches Miteinander der Nationen. Wenn ich nicht mehr bin, kann Herr Specht sie als sein Programm ausgeben. Vielleicht kann er auch Helmut Schmidt dafür gewinnen, das wäre gut. Schmidt ist nur in der falschen Partei, das ist sein Problem. Aber er denkt global und versteht etwas von Wirtschaft, im Unterschied zu Herrn Kohl. Herr Specht muß CDU-Vorsitzender werden und mit Helmut Schmidt eine große Koalition eingehen, um die großen Menschheitsfragen zu lösen. Und um Franz Josef Strauß auszuschalten. Strauß ist gefährlich. Aber Schmidt und Specht zusammen können es schaffen. Und sie haben dann ein Programm, das Programm eines Mannes, den schon der grüne
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