Monrepos oder die Kaelte der Macht
bis zu einem stillgelegten Kanal reichten. Vorne, im Innenhof des Bürotrakts, stand eine alte Linde. Ihre Zweige berührten fast das rostbraune Mauerwerk.
Eine Empfangsdame führte die Besucher zum Besprechungsraum. Es war eine freundliche Geste, denn Dr. Gerstäcker kannte sich selbstverständlich aus. Das Zimmer war spartanisch möbliert. An den Wänden hingen vergilbte Patenturkunden und kolorierte Merianstiche. Dazwischen das Porträt eines hageren Mannes in steifem dunklem Gehrock.
Während sie warteten, erläuterte Dr. Gerstäcker, daß es sich bei dem schwarz gekleideten und ein wenig schwermütig dreinblickenden Herrn um den Firmengründer, Sören Tendvalls Großvater, handele.
Kurz darauf betrat Sören Tendvall den Raum. Gundelach erschrak, wie klein und zerbrechlich er wirkte. Sein schmaler Körper steckte in einem nachlässig aufgebügelten Anzug mit Weste, der hohe Hemdkragen stieß an einen dünnen, faltigen Hals.
Mit trippelnden Schritten näherte sich Tendvall der Gruppe und begrüßte zuerst Tom Wiener, dann Dr. Gerstäcker und Gundelach. Seine Stimme klang zirpend. Es bereitete ihm Mühe, zu den Besuchern empor zu schauen. Der Kopf schaffte es nicht, wohl aber die Augen. Es waren die leuchtendsten Augen, die Gundelach je gesehen hatte, braunschwarz, von jünglingshaftem Glanz. Die Augen hatten sich geweigert, den Verfallsprozeß des Alters mitzumachen; sie verbaten sich jedes Mitleid. Im übrigen sah Sören Tendvall seinem Großvater lächerlich ähnlich.
Ich freue mich, daß wir uns kennenlernen, begann Tendvall. Bitte setzen Sie sich, ich nehme an, Sie haben wenig Zeit und wir wollen eine Menge besprechen. Bis Herr Specht eintrifft, können wir das meiste schon erledigen, so daß wir ihn von den Ergebnissen unterrichten können. Es ist nicht nötig, daß ein Regierungschef die Details kennt, das Resultat muß stimmen. Adenauer wußte das, Erhard schon nicht mehr. Wissen Sie, Erhard war im Grunde sehr mittelmäßig, aber das gehört zu den großen Tabuthemen unserer Zeit, wie die weltweite Propagierung der Einkindfamilie als einziges Mittel, um die Bevölkerungsexplosion zu stoppen. Ein Kind und Schluß, und wer sich daran hält, bekommt vom Staat ein Haus, das kurbelt die Konjunktur an und ist immer noch billiger, als Milliarden durchfüttern zu müssen. Aber man darf es nicht schreiben, und Herr Specht kann sich damit nicht identifizieren, auch wenn er vielleicht der Meinung ist, daß die Verbindung von Geburtenkontrolle und Heimstättenprogramm sogar ganz vernünftig wäre …
Dr. Gerstäcker räusperte sich vernehmlich.
Ihre Ideen, unterbrach er, sind außerordentlich originell, und wir werden sicherlich eine Möglichkeit finden, sie in den politischen Raum einzubringen. Aber wir müssen Schritt für Schritt vorgehen und erst einmal ein Forum schaffen, in dem solche strategischen Überlegungen überhaupt diskutiert werden können. Wie ich Ihnen bereits sagte, geht es zunächst darum, die Wende in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik einzuleiten und Herrn Specht, von dem wir uns alle doch außerordentlich viel versprechen, eine Plattform zu verschaffen. Wir –.
Ja, sagte Sören Tendvall mit strahlenden Augen, Herr Specht versteht viel vom Wohnungsbau und kennt die Welt von seinen Reisen. Es ist zwar ganz unwahrscheinlich und eigentlich ganz und gar unmöglich, aber vielleicht könnte Herr Specht einmal damit anfangen, in seinem Land ein Heimstättenprogramm aufzulegen, ohne es so zu nennen, natürlich, damit die Leute sehen, es funktioniert, so daß am Ende sogar Helmut Schmidt sagt: Schade, daß uns das nicht eingefallen ist!
Wir sind gerade dabei, ein Stadt- und Dorfentwicklungsprogramm zu konzipieren, warf Tom Wiener ein. Da gibt es durchaus Parallelen zu Ihren Ideen, Herr Tendvall, die ich übrigens ungeheuer faszinierend finde.
Sören Tendvall sah ihn dankbar lächelnd an.
Ich habe nichts geleistet in meinem Leben, sagte er heiter. Was Sie hier sehen, ist das Werk meiner Mitarbeiter. Hervorragende Ingenieure und Wissenschaftler. Mein Beitrag ist ganz unbedeutend. Eigentlich wollte ich Schafzüchter werden. Aber nach dem Tod meines Bruders mußte ich die Firma übernehmen. Daß sie so groß geworden ist, dafür kann ich nichts. Mein einziges Verdienst ist, gute Leute zu finden und sie für mich arbeiten zu lassen. Herrn Specht habe ich auch entdeckt, als jungen Mann schon …
Er weiß es auch und ist Ihnen dafür zeitlebens dankbar, sagte Tom Wiener artig.
Das ist sehr
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