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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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Situationen des Lebens benahmen sich die meisten Männer wie Idioten, und entsprechend mußte man sie behandeln. Schwester Anneliese verbarg ihre Einschätzung, daß Bernhard Gundelach keine Ausnahme bildete, nicht, als sie auf sein fragendes Gestammel langsam und wie zum Mitschreiben Geschlecht, Gewicht und genaues Geburtsdatum seines Kindes durchgab. Gesund sei er, der Bub, und kräftig und habe seine Mutter arg geplagt. Acht Stunden lang. Jetzt schlafe sie. Er könne also in Ruhe Rosen kaufen gehen, ade.
    Sonntag war es, Sonntag der 29. Juli 1979. Ein warmer, aquamarinblauer, sommerferienträger Sonntag. Die Großstadt döste noch. Das war wohltuend, denn Gundelachs Schädel brummte wie ein Bienenkorb. Gestern hatte er, wieder einmal, Sören Tendvall besucht, war aber schon am Abend wieder zurückgekehrt, unruhig und eigentümlich depressiv. Seit über einer Woche lag Heike im Krankenhaus; die Wehen hatten vorzeitig eingesetzt. Die leere Wohnung grauste Gundelach, das Warten zerrte an den Nerven.
    Mit Tendvall hatte er diesmal gar keine Geduld gehabt. Der alte Mann war erst traurig gewesen, dann störrisch wie ein Kind. Sie stritten um das Heimstättenprogramm, und Gundelach verstieg sich in seinem Ärger dazu, Tendvall darüber aufzuklären, daß Oskar Specht von staatlicher Wohnungsbauförderung rein gar nichts halte. Tendvall verstummte daraufhin und schloß die Augen. Das verfolgte Gundelach noch auf der Heimfahrt.
    Dann besuchte er Heike, die blaß und apathisch im Bett lag. Sie hatte Schmerzen und wohl auch Angst. Ihm fiel nichts Tröstendes ein. Krankenhausatmosphäre lähmte ihn seit jeher. Der Schwester nannte er, bestimmt zum fünften Mal, seine Telefonnummer und nahm ihr das Versprechen ab, ihn sofort anzurufen, wenn ›irgendwas passiert‹. Zum fünften Mal nickte sie, unterdrückte das Seufzen aber nicht mehr.
    Samstagabend allein, das war unerträglich. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß er überhaupt keine Freunde besaß, nur Kollegen. Der Job fraß alles Private auf. Eine Beziehung nach der anderen war eingeschlafen; er hatte ja nie Zeit.
    Gundelach rief zu Hause bei Andreas Kurz an, vergeblich. Er probierte es unter der Nummer Paul Bertrams. Der automatische Anrufbeantworter schaltete sich ein: In bemühtem Hochdeutsch ließ Bertram wissen, daß er einer Sitzung wegen außer Hauses sei. Wozu, um alles in der Welt, benötigte Inspektor Bertram einen Anrufbeantworter? Ach ja, er war Stadtrat. Und Vereinsvorstand. Sein wirkliches Leben trug sich jenseits des Dienstes zu. Offenbar ging das auch, und nicht schlecht.
    Irgendwer mußte ihm aber jetzt Gesellschaft leisten.
    Schieborn? Nein, Schieborn war verheiratet und hatte eine kleine Tochter, da störte man nicht am Wochenende. Außerdem redete er fast nur noch über Technik. Digitale statt analoge Kommunikationstechnik, breitbandige Verteilernetze, Glasfaser, Kabelfernsehen, Bildschirm- und Videotext. Das war seine Welt. Schieborn schien eine eigene Nabelschnur zur Zukunft zu besitzen, er und die Techniker von Bundespost, Siemens und SEL, die jetzt ständig im Schloß herumsprangen. Verglichen mit ihnen kam sich Gundelach wie ein trauriger Nachlaßverwalter des Wortes inmitten einer anschwellenden Flut elektronischer Signale und geheimnisvoller Kürzel vor. Ähnlich mochte es Dr. Weis ergangen sein, der schon mit Oskar Spechts Breitbandwurm-Kommunikation nichts mehr anzufangen wußte.
    Weis! Dankwart Weis, der abgeschobene, dem Schicksal still ergebene Philosoph. Der als einziger in der Baracke verblieben war, weil niemand mehr ihn brauchte; ihn und seine humanistische enzyklopädische Bildung. Weis, das Opfer. Wenn man es messerscharf sah: Gundelachs Opfer. Egal. Ihn brauchte er jetzt. Philosophen rächen sich nicht, sie sind keine Politiker.
    Am Apparat eine leise, müd-monotone Frauenstimme. Nein, ihr Mann sei nicht zu Hause. Ja, er sei fortgegangen. Wie war noch mal der Name? Ach … Schweigen. Wie kann jemand nur so entsetzlich schweigen? Dann: Probieren Sie’s im ›Träuble‹. Aufgelegt.
    Fast fiebrig fuhr Gundelach zur Gaststätte. Dr. Weis saß allein an einem Ecktisch, vor sich eine Karaffe Rotwein. Die dunkle Holztäfelung der Wand umrahmte sein ausgebleichtes Gesicht wie ein altdeutsches Porträt. Sogar die Firnisrisse waren da. Gundelach bemühte sich nicht einmal, überrascht zu tun. Mit ungestümer Direktheit steuerte er auf Weis zu, grüßte, nahm Platz, fing an zu reden. Sie tranken, und Weis hörte zu. Oder hörte jedenfalls

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