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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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Spiegel und Stern für ihn. Und viele überregionale Zeitungen. Das verpflichtet.
    Wieners Abteilung ist deshalb nochmals größer geworden, und Gundelach hat einige junge Leute zugeordnet bekommen, die ihm helfen, Material aufzubereiten und die vielen Expertenkränzchen zu betreuen. Reden schreibt er nur noch selten, für wichtige Auftritte Spechts im Ausland oder vor politischer Prominenz. Jeden Tag könnte Specht irgendwo reden, so oft wird er angefordert. Aber inzwischen kann man es sich leisten, wählerisch zu sein. Und außerdem geht es ihm nicht mehr – sagt er – um kurzfristige Tageserfolge, sondern um Strukturen. Zukunftsstrukturen.
    ZUKUNFT! Das Wort läßt ihn nicht mehr los. Der Begriff bannt ihn wie ein Vexierbild. Tofflers Buch, im Urlaub verschlungen, hat ihm die Augen geöffnet. Die neuen Technologien, Mikroelektronik, Computer, Glasfaser, sind nicht irgendwelche Erfindungen. Sie sind der Schlüssel zu einer neuen Weltordnung, in der Menschen wie Oskar Specht den Ton angeben. Kreative, blitzschnell begreifende Persönlichkeiten, die sich als Teil einer ›borderless world‹ verstehen. Entfernungen, nationale Unterschiede, persönliche Biografien werden nebensächlich. Entscheidend ist, was einer ist, welche Funktion er ausübt im internationalen politisch-ökonomischen Geflecht, welchen Knotenpunkt er besetzt im weltumspannenden Informations- und Kommunikationsnetz. Es gibt eine neue, funktionale Elite, die sich aus der Fähigkeit, in globalen Zusammenhängen zu denken, und aus der Macht, der Erkenntnis Taten folgen zu lassen, definiert. Diese Menschen, ob Unternehmer, Politiker, Naturwissenschaftler, Techniker, finden zwangsläufig zusammen. Ihr Wissen, Pioniere einer neuen Menschheitsepoche zu sein, eint sie. Das Industriezeitalter stirbt, die Informationsgesellschaft zieht auf. Individuelle Optionen statt Massenschicksal, Zukunftschancen statt Traditionsschranken. Dies ist, nach der agrarischen und der industriellen Revolution, die dritte Entwicklungswelle der Zivilisation.
    Specht hat, dank Toffler, seinen geschichtlichen Standort und seine Vision gefunden. Er weiß, daß er in der Politik zu den Pionieren zählt, die den fundamentalen Wandel begriffen haben. Das gibt ihm einen kostbaren Vorsprung. Er braucht das Land nur noch nach seinen Einsichten umzukrempeln.
    Seltsam ist es schon, denkt Gundelach. Da hat einer plötzlich eine Philosophie entdeckt, die wie eine zweite Haut zu ihm paßt. Die alles, was ihm bei seinem bisherigen Werdegang vorenthalten geblieben ist, für unerheblich erklärt. Der Politiker als Zukunftsunternehmer, als Mittler zwischen Forschungslabor und Investitionskapital. Denn der Fortschritt vagabundiert als vaterlandsloser Geselle, und aus Ländern werden Standorte. Tüchtigkeit, nicht Tradition entscheidet.
    Die Idee ist gleichermaßen befreiend und entwurzelnd. Vor allem aber ist sie jung und unverbraucht und deshalb gefällt sie Gundelach. Sie kontrastiert zur allgemeinen Tristesse wie das Farbenspiel von Papageienfedern vor dem Grau eines deutschen Winterhimmels.
    Sechs Stunden bis Jamaika!
    Gundelach steht auf und schiebt den Vorhang beiseite.
    Am Flughafen wurden sie von wundervoll klapprigen Chevrolets und Chryslers abgeholt, deren Fahrer mit lachenden Augen und blitzenden Zähnen baten, die Türen von innen festzuhalten. Nur für Oskar Specht stand ein Mercedes 200 zur Verfügung, der Wagen des Botschafters.
    Auf dem Manlay-Airport in Kingston erlebte Gundelach zum ersten Mal das eingespielte Begrüßungsritual, das sich in den nächsten Jahren oft und oft vor seinen Augen entfalten sollte. Der Botschafter stürzt sich auf den Ministerpräsidenten, meldet die aktuellen organisatorischen Vorkehrungen, stellt den Legationsrat Erster Klasse, den Wirtschafts- und den Presseattaché oder wen er sonst zum Empfang beordert hat, vor und eilt mit seinem Gast schnurstracks zum Ausgang. Hinter ihnen folgt, zögernd, der begleitende Troß, zunächst weniger an der politischen Lage als am Verbleib der Koffer interessiert. Jede Menge Kabel- und Lampenträger und ein Kameramann mit musealem Gerät und geschmeidig-geübtem Krebsgang, der filmt, als gälte es das Leben.
    Draußen, an der Zufahrt, ein endloses Palaver, wer in welchen Wagen und wohin. Gundelach begriff, warum Henschke sich in aller Ruhe separiert und ans Gepäckband begeben hatte: Bis die Koffer abgeladen waren, passierte unterm nächtlichen Sternenhimmel von Kingston Town, außer mächtigem Geschnatter,

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