Monrepos oder die Kaelte der Macht
bis sie verlaufen waren. Einige Inspirationen jedoch verfolgte er hartnäckiger; diese gehörte dazu.
Wir müssen aufpassen, erklärte er in einer Klausursitzung des Kabinetts, daß wir mit unserer Ausländerpolitik nicht mit den Kirchen und dem stark wertorientierten Teil unserer Wählerschaft übers Kreuz geraten. Die tun sich schwer mit Sammellagern für Asylbewerber und Aufenthaltserlaubnissen für ausländische Kinder. Ich merk das bei verschiedenen Diskussionen. Der Ton ist härter geworden.
Ach, die Sozialapostel, sagte Müller-Prellwitz unbeeindruckt. Wenn sie aber selber Kinder in Schulen mit hohem Ausländeranteil haben, laufen sie dir die Bude ein. Und zeig mir einen Pfarrer, der schon mal einen Eritreer bei sich aufgenommen hat. Mit Worten sind sie immer gleich dabei, aber sonst –.
Walter Wertmann, Staatssekretär im Sozialministerium und Landesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerverbände, meldete sich, was er selten tat, zu Wort.
Ich finde schon, daß der Ministerpräsident recht hat, sagte er vorsichtig. Die Stimmung draußen bei den Arbeitern ist nicht so ausländerfeindlich, wie wir manchmal glauben. In den Betrieben gehört der Türke, der nebenan am Band schafft, zum gewohnten Bild. Und viele Ältere erinnern sich noch gut daran, wie sie nach dem Krieg als Flüchtlinge hierher gekommen sind. Das darf man auch nicht unterschätzen.
Gundelach konnte sich nicht erinnern, Wertmann jemals so ausführlich sprechen gehört zu haben. Normalerweise stauchte ihn Specht schon nach wenigen Sätzen zusammen. Der graugesichtige, unscheinbare Mann, den man zur Befriedung des aufrechten Häufleins christdemokratischer Arbeitnehmer zum Staatssekretär gemacht hatte, war der Paria am Kabinettstisch. Auch bei seinem eigenen Ressortchef fand er nicht immer Rückhalt. Ja, wenn das noch die herzliche, alles niederzwitschernde Frau Minister gewesen wäre! Die hätte ihn wohl unter ihre schützenden Fittiche genommen. Doch Gerlinde Bries tat neuerdings als Bundesratsministerin (auch auf Briefköpfen waren Frauen inzwischen ministrabel – die Zeiten änderten sich!) in Bonn Dienst, wo sie für ein ganz neues Gefühl politischer Mütterlichkeit sorgte. Seither war Wilfried Schwind Sozialminister, ein karrierebewußter ehemaliger Landrat, dem Specht manches zu danken hatte. Wenn die organisierten Werktätigen in der CDU wieder einmal das Unternehmertum mit sozialen Forderungen verschreckten und Wertmann dafür Kabinettskeile bezog, stand er meist allein. Ein Blitzableiter reichte.
Jetzt aber ruhten Spechts Augen mit einem gewissen Wohlgefallen auf der gedrungenen Gestalt. Müller-Prellwitz indes mochte es keinesfalls hinnehmen, ausgerechnet von Wertmann belehrt zu werden. Er hob zu einer seiner gefürchteten Tiraden an.
Du würdest dich besser darum kümmern, Walter, daß die CDA nicht jedes mal bei den Betriebsratswahlen runterschnappt! rief er erbost. Aber was der Mann auf der Straße denkt, das wißt ihr doch schon gar nicht mehr –.
Wolf, du bist jetzt ruhig, sagte Specht.
Wenn ich in einen Betrieb komme, dann sehe ich dort jede Menge Gewerkschaftsfunktionäre von der IG Metall und höchstens einen von der CDA, und der steht meistens allein in Anzug und Krawatte herum.
Ich sagte, du bist jetzt ruhig!
Ist doch wahr … wenn nicht mal mehr die eigenen Leute –.
Ruhe, verdammt noch mal!
Die Regierung zog kollektiv den Kopf ein. Müller-Prellwitz aber wechselte, wie häufig, übergangslos in die Rolle des schalkhaften Lieblingsschülers. Das Kinn in die Hand gestützt, fragte er mit sanfter Stimme und aufwärts gerichteten Augen: Haben dich die Sozialapostel so geärgert, Oskar? Oder war’s diesmal das Präsidium und Helmut Kohl? Wir üben uns doch nur in lebendiger innerparteilicher Demokratie, der Walter und ich, wie du das gerade erst auf dem letzten Parteitag gefordert hast –.
Er wird immer oben schwimmen, dachte Gundelach beeindruckt. Wir lachen über einen, der uns alle überleben wird.
Demutshaltungen seiner Minister, in welcher Form auch immer, besänftigten Specht augenblicklich.
Leute, im Ernst, sagte er und legte den Zeigefinger an die Nase – was, wie mittlerweile jeder wußte, die Aufforderung zu besonders konzentriertem Zuhören war. Ich überlege die ganze Zeit schon, wie wir der Kritik, die irgendwann auch von einer Seite, wo es uns weh tut, also nicht von der SPD, die schadet sich damit bloß selbst, das kann man laufen lassen, sondern kirchliche Kreise, wo ein
Weitere Kostenlose Bücher