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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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bis zur Sommerpause gemacht habe, dann finde im Juni in der Landeshauptstadt eine zentrale Kundgebung ›Solidarität mit der Dritten Welt‹ statt, und zu der lade er persönlich den Bundespräsidenten und – na? – Mutter Teresa, die Friedensnobelpreisträgerin aus Kalkutta, ein.
    Ungläubiges Staunen.
    Mutter Teresa?
    Ja. Weiter.
    In der zweiten Stufe werde das Thema Solidarität dann nochmals ausgeweitet: Solidarität mit Behinderten, Solidarität mit arbeitslosen Jugendlichen, der Boden dafür sei bis zum Sommer gut vorbereitet. Und dann könne man vom einzelnen Bürger auch wieder mehr Opfer verlangen und notwendige Haushaltskürzungen besser verkaufen. Das nächste Weihnachtsgeld, darauf sollten sich die Kollegen schon mal einstellen, werde für einen gemeinnützigen Zweck gespendet. Und er überlege sich, ob man dasselbe nicht auch von den Beamten verlangen könne, um arbeitslose Lehrer einzustellen, beispielsweise. Da werde sich dann ja zeigen, was die Lippenbekenntnisse des Beamtenbundes wert seien. Und wenn das alles so ablaufe, dann wolle er den sehen, der an der harten Haltung der Regierung in der Ausländerfrage noch herumzumäkeln wage. Die Staatskanzlei koordiniere das Ganze, Tom Wiener mache die Presse heiß (aber nur anfüttern, die Pressekonferenz mach ich selbst, und kein Wort über Mutter Teresa, bis sie zugesagt hat, ich warn dich, Tom!), und Pörthner lade die Kreisgeschäftsführer zu einer Sitzung ein, die er, Specht, selbst leiten werde.
    Ende der Rede. Betäubtes Schweigen. Man hatte zur Kenntnis zu nehmen: Solidarität war jetzt angesagt.
    Und so geschah es. Punkt für Punkt.
    Mutter Teresa kam, barfüßig, gebeugt, in weißem Kattunkleid und grauer Strickjacke, der Bundespräsident kam nadelgestreift, hielt eine längere Rede, Specht überreichte einen Fünfzigtausendmarkscheck, ein paar unverbesserliche Spontis johlten: Heuchelei!, und die kleine Heilige lächelte unendlich gütig und entrückt.
    In den Wochen davor und danach kamen auch etliche afrikanische Würdenträger, der Präsident Nigerias, Seine Exzellenz Alhaji Shehu Shagari, der Präsident von Togo, Seine Exzellenz General Gnassingbe Eyadema, der Premierminister des südafrikanischen Homeland KwaZulu, Gatsha Buthelezi … Für kurze Zeit entwickelte sich ein regelrechter Entwicklungshilfe-Staatstourismus. Alle kamen, lobten und wurden gelobt und schauten, bevor sie zurückflogen, noch rasch bei Daimler Benz vorbei.
    Sören Tendvalls Hoffnung, sein politischer Zögling Specht werde bei diesen Anlässen wenigstens eine kleine Andeutung über die Notwendigkeit einer Verknüpfung von Geburtenkontrolle und Heimstättenprogrammen machen, ließ sich leider nicht erfüllen. Es war Gundelachs Aufgabe, ihn auf später zu vertrösten.
    Zwei Wochen nach Mutter Teresas Besuch einigte sich der Vermittlungsausschuß in Bonn auf Spechts Drängen über ein neues Asylverfahrensgesetz. Der Ministerpräsident hatte sich durchgesetzt, das Land konnte seine Abnahmequote für Asylbewerber um zehn Prozent senken. Das ausländerpolitische Gewissenstonikum, die Balance zwischen Großmut und Härte, hatte gewirkt.
    Alle waren zufrieden.
    Nicht alle, natürlich. Oskar Specht verbuchte Erfolge inzwischen wie unvermeidliche Begleiterscheinungen eines vorgezeichneten Weges, dessen Richtung, vom Schicksal so bestimmt, nur nach oben führen konnte. Er besaß die Fortune, das Richtige zu tun, weil eine ihm wohlgesonnene höhere Macht wollte, daß er das Richtige tat.
    Beispiele dafür hatte er in seinem jungen, wechselvollen Leben zur Genüge erfahren: Die Entscheidung, sich als kaum erwachsener Verwaltungsstift in eine Stadt zu bewerben, deren Bürgermeister ihn wie ein Vater förderte und der ihm im Wohnungsbau nach Managerart frei schalten und walten ließ. Das Angebot, in die Geschäftsführung der ›Neuen Heimat‹ einzutreten, wo er es, unter den hoffnungsvoll auf ihm ruhenden Blicken ›King‹ Albert Vietors bis zum Vorstandsmitglied brachte. Die sichere Ahnung, dem scheinbar unverwüstlichen Konzern schon nach wenigen Jahren wieder den Rücken kehren zu sollen – jetzt, acht Jahre später, stand der Koloß vor dem Ruin. Die Entschlossenheit, für die CDU in einem todsicheren Wahlkreis der SPD zu kandidieren, obwohl er gerade erst in die Partei eingetreten und den Mandatsgewinn so wenig wie die Programmatik seiner neuen politischen Heimat einzuschätzen wußte. Die Chuzpe, als parlamentarisches Greenhorn gegen seinen von Breisinger fallengelassenen

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