Monrepos oder die Kaelte der Macht
hoher moralischer Anspruch auch für den Bürger dahintersteht, wie man das hinkriegt. Und wenn du dir das mal in Ruhe überlegst, iss es eigentlich ganz einfach. Ich sag mal ein Beispiel. Wenn ich in meinem Wahlkreis hundert Leute frage, ob wir noch mehr Türken reinlassen sollen, schlagen fünfundneunzig die Hände überm Kopf zusammen. Schon bei Türken tun sie das. Bei Afrikanern oder Pakistanern sind’s hundert Prozent, jede Wette. Wenn ich denselben Leuten dann sage, gut, das ist klar, daß wir nicht alles Elend dieser Welt auf unseren paar Quadratkilometern lösen können, aber heißt das auch, daß uns der Rest der Welt nix angeht, dann sagen dieselben Leute: nein, so haben wir das natürlich nicht gemeint. Da muß man schon was machen, helfen und so. Guck dir die Millionen an Spenden an, die jedes Jahr zu Weihnachten zusammenkommen, Misereor, Brot für die Welt, oder wenn im Fernsehen hungernde Kinder gezeigt werden. Dann ist da plötzlich so ein allgemeines Gefühl, daß man dafür, daß es einem hier gut geht, auch etwas abgeben sollte, ich will mal sagen: ein Gerechtigkeits- und Solidaritätsgefühl. Das darf man nicht unterschätzen, auch politisch nicht. Wenn ich in so ‘ner Situation eine Asylantenfamilie mit Gewalt abschiebe, womöglich vor laufender Kamera, kann es dir ganz schnell passieren, daß dieselben Leute, die dich eben noch beschimpft haben, daß du die alle reingelassen hast, sagen: So geht das natürlich auch nicht. Das heißt, es gibt ein Bedürfnis, sein Gewissen zu beruhigen. Und je mehr dieses Bedürfnis befriedigt wird, um so größer ist die Bereitschaft, dafür dann auch den harten, den ordnungs- und sicherheitspolitischen Teil mitzutragen. Bisher sind wir, die CDU, für den harten Kurs zuständig, und die Leute finden das in Ordnung. Aber die moralisch-ethische Seite überlassen wir den Kirchen und der SPD, weil wir glauben, das verträgt sich nicht mit unserer Linie und führt bloß zur Verwirrung bei der großen Masse. Und genau da liegt der Denkfehler. Wir müssen beides glaubwürdig besetzen, die Wohlstandssicherung und die Solidarität.
Frau Bries, die Bundesratsministerin, zersprang fast vor Freude und Aufregung. In der evangelischen Gemeindearbeit großgeworden, war ihr die krude technokratische Weltsicht Spechts, die mit der wertebetonten Haltung seines Vorgängers so wenig gemein hatte, stets ein Quell heimlichen Grams gewesen. Und nun dieses unvermutete Bekenntnis zum Gewissen!
Oskar, rief sie wogend, ich finde es großartig, was du gesagt hast, und ich möchte dir ganz herzlich danken –.
Gerlinde, unterbrach sie Specht unwirsch, jetzt wart’s doch erst mal ab! Du weißt ja noch gar nicht, was ich sagen will!
Was er sagen wollte – und, durch den voreiligen Jubelruf aus dem philosophischen Kontext gerissen, eher griesgrämig und verstimmt zu Ende führte – war dies: Man solle gefälligst hier und jetzt eine große Aktion ›Solidarität mit der Dritten Welt‹ beschließen, zu der jeder Minister und jeder Staatssekretär – jeder – sein Teil beizutragen habe. Veranstaltungen draußen im Wahlkreis mit Pfarrern, Entwicklungshelfern und caritativen Verbänden zu praktischen Themen der Entwicklungspolitik. Kein Wischiwaschi-Gelabere, sondern handfeste Beispiele tätiger Hilfe. Da man das dreißigjährige Landesjubiläum, im wohltuenden Gegensatz zu Breisingers Mammutshow, ohne Tamtam habe verstreichen lassen, könne man ja, gewissermaßen aus den für Feuerwerk und Fressen eingesparten Geldern, trotz sonstiger Sparzwänge die Mittel für Entwicklungshilfe um ein paar Millionen aufstocken. Die CDU-Fraktion und speziell Fraktionschef Deusel kämen gar nicht darum herum, dem zuzustimmen, wollten sie nicht ihre Lieblingsrolle als soziales Gewissen eines wirtschaftshörigen Ministerpräsidenten Lügen strafen. Und in der Partei werde eine Parallelaktion gestartet, in der nächsten Landesvorstandssitzung werde das beschlossen, mit konkreten Patenschaften und Wettbewerben zwischen den Kreisverbänden. Und eine Stiftung der Landes-CDU werde auch gegründet, da könnten sich dann Unternehmen, die mit Spenden an politische Parteien sonst nichts am Hut hätten, engagieren. Das bringe, von allem anderen abgesehen, auch die Partei wieder in Schwung, die in letzter Zeit verdammt faul und träge geworden sei. Die Partei müsse jetzt pausenlos beschäftigt werden, bis zu den nächsten Wahlen, sonst verlerne sie das Kämpfen. So. Und wenn man siebzig, achtzig Veranstaltungen
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