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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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für private Rundfunkveranstalter. Zentrale Anlaufstelle sollte eine noch zu gründende Landesanstalt für Kommunikation werden, deren Geschicke ein Geschäftsführer leitete. Der Geschäftsführer würde Schieborn heißen.
    Gundelach ertappte sich zuweilen bei sentimentalen Rückblicken, die ihm selbst nicht ganz geheuer waren. Eine Art nostalgischer Wehmut nahm dann von ihm Besitz, und er sehnte sich nach der lauten, lockeren Barackenidylle unter dem strengen Regiment Günter Bertschs. Damals, dachte er, war die Atmosphäre eine andere gewesen. Bunter. Dichter. Menschlicher. Es gab mehr Gespräche, mehr Streit, mehr Gefühle. Man lag sich in den Haaren und in den Armen, zankte miteinander und trank miteinander. Ein Stück Olymp war noch lebendig, mal dionysisch, mal apollinisch. Dazwischen, kokett und unentschieden, die kleine Marmorgöttin.
    War es so? Auf jeden Fall hatte es Menschen gegeben, die es so sahen und sich die Zeit nahmen, darüber nachzudenken. Das Schrecklichste an Oskar Specht war seine Unfähigkeit innezuhalten. Alles floß wie Treibsand dahin. Auch bedeutende Dinge, die zu bewahren gelohnt hätte, erschöpften sich oft im Staub, den sie aufwirbelten.
    Specht schien manchmal selbst von Zweifeln befallen, was von seinem Wirken an Substanz übrigbleiben werde. Dann sprach er davon, daß man ein Buch schreiben müßte, in dem ›das Ganze‹ zusammenhängend dargestellt werde. Mit philosophischem Anspruch, sozusagen. Und blickte dabei Gundelach prüfend an. Gundelach wich aus und dachte: Was denn noch alles?
    Verstehen aber konnte er den Wunsch. Was sie jetzt trieben, war geistiges Nomadentum. Es gab Augenblicke, da konnte man Monrepos für ein Luftschloß halten.
    Wenn er, selten genug, einen der abgewanderten Kollegen traf, spürte er ein feines, nur aus Höflichkeit zurückgedrängtes Mißtrauen, dem wohl auch eine Prise Verachtung beigemischt war. Man betrachtete sie als Gaukler, die mit vielen Bällen jonglierten. Daß sie es gekonnt taten, mußte ihnen der Neid lassen. Aber im Grunde war es eben doch Gaukelei, verführerisch schillernde Kostümkunst unter der Zirkuskuppel.
    Bei Bertsch, dem er zuweilen nach der Amtschef-Runde begegnete, die im Kabinettssaal die wöchentlichen Ministerratssitzungen vorbereitete, hatte er dieses Gefühl unbedingt. Bertsch behandelte ihn fast wie einen Fremden. Erst recht, nachdem er als Ministerialdirektor ins hierarchisch-strenge Finanzministerium gewechselt war, weil Reck einen lukrativen Vorstandsposten bei einem Energieversorgungs-Unternehmen ergattert hatte. Wahrscheinlich würde Bertsch demnächst grußlos an Gundelach vorübergehen. Warum? Irgend etwas verzieh die Breisinger-Elite ihren Nachfolgern nicht. Den Erfolg oder die Prinzipienlosigkeit, mit der er erkauft wurde. Wahrscheinlich beides.
    Mit Heike darüber zu sprechen, war unmöglich. Von Monrepos wollte sie nichts mehr hören. Ein für allemal nicht. Es interessiere sie nicht, sagte sie, das Thema sei abgeschlossen. Auch Anrufe, wie sie anfangs noch üblich waren, von Anita Strelitz oder der kleinen Markovic, ihren einstigen Schreibzimmer-Leidensgefährtinnen, verbat sie sich irgendwann. Sie gehörte nicht mehr dazu und zog den Trennungsstrich mit kriegerischer Entschlossenheit.
    Manchmal hatte Gundelach den Eindruck: auch zu ihm. Dann ging er in den Park, an der stillen, von keinem Tickergeräusch und Kollegengeschnatter mehr belebten Baracke vorbei, bog dieselben Zweige zur Seite, die sie, ihm vorausgehend, zur Seite gebogen hatte, und dachte: Was, um Gottes willen, ist mit uns geschehen?
    Der Teich und der Liebestempel, das Dickicht der Sträucher und Bäume, sie waren ohne Zauber. Nichts klopfte und pochte, kein Raunen und Wispern. Auf der steinernen Bank sitzend, fiel ihm auf: er hatte auch keine Träume mehr. Vom lanzettbewehrten, goldenen Zaun umfriedet, kreiste das künstliche Leben in sich selbst. Nur hier konnte es sein, und er mit ihm.
    Außerhalb des Zaunes kam er sich hilflos vor wie ein Kind. Schlimmer noch, auch mit sich selber wußte er dort nichts Rechtes anzufangen. Und den Mitmenschen erging es geradeso mit ihm. Erst wenn die Sprache auf Politik kam, schien es lohnend, ihm zuzuhören. Politik war der Schlüssel, mit dem man sein Uhrwerk aufziehen konnte. Gundelach spürte es wohl, und es kränkte ihn. Aber dagegen wehren wollte er sich nicht. Wenigstens war er dann nicht langweilig oder auf befremdliche Art einsilbig, so daß die Leute sagten: Sie arbeiten zu viel. Man sieht es

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