Monrepos oder die Kaelte der Macht
Technologiepolitik an der Schnittstelle von Wissenschaft und Wirtschaft betreibt. Das ist in Deutschland etwas Neues und beschäftigungspolitisch genau das, was wir jetzt brauchen. Zweitens ärgert es mich, mit welcher Selbstverständlichkeit meine Kollegen diese unglaubliche Veränderung der Forschungslandschaft quittieren. Ich wette, von denen hat bis heute nicht einer Danke gesagt.
Nein, sagte Gundelach, in der Tat nicht. Wir sind schon froh, wenn sie, bevor sie wieder etwas fordern, Bitte sagen.
Genauso habe ich mir das vorgestellt. Genau so!
Wrangels Finger hieben auf die Tischplatte, als müßten sie dort Löcher hineinstanzen.
Ich kann den MP nur bewundern, daß er sein Konzept trotz solcher Hosenscheißer durchzieht. Nein, wirklich. Glauben Sie mir, neun von zehn Professoren sind ausgemachte Hasenfüße, das ist die Quintessenz meiner dreißigjährigen Erfahrung im akademischen Lehrbetrieb. Wenn es darum geht, die Hand aufzuhalten, sind alle da – aber wehe, man verlangt von einem, mal hinzustehen!
Gundelach ließ die Gabel sinken.
Und eben dies, sagte er ahnungsvoll, wollen Sie mit Ihrer Initiative erzwingen: Die Gremien Ihrer Universität sollen endlich Farbe bekennen, öffentlich Danke sagen …
So ist es! rief Wrangel mit blitzenden Augen und lachte, daß er sich verschluckte. Lachte, trank Wasser und verschluckte sich aufs neue.
Ja, das habe ich vor, und ich hoffe nur, Sie machen mir keinen Strich durch die Rechnung. Denn als erstes wird man mich natürlich fragen, ob Specht überhaupt bereit ist, die Ehrung anzunehmen. Wenn es da noch Zweifel gäbe, wäre das für die viele ein prächtiger Vorwand, sich um die Entscheidung zu drücken.
Ich könnte jetzt, dachte Gundelach, die Sache mit wenigen Sätzen beenden. Und dann? Dann wäre ich in den Augen Wrangels ein Hosenscheißer wie alle anderen auch. Und hätte, was noch schlimmer wäre, allen rechtgegeben, die sich feige und angepaßt verhalten. Will ich das?
Angenommen, der MP stimmt zu, sagte er langsam. Wie begründen Sie denn seine Auszeichnung? Es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, die Ehrendoktorwürde sei eine Art Gegenleistung für das, was auch Ihre Hochschule – und wie Sie wissen, in reichlichem Maße – bekommt.
Statt einer Antwort zückte Professor Wrangel einen Kugelschreiber, faltete seine unbenutzte Papierserviette auseinander und begann, ein Diagramm zu zeichnen.
Sie sind nicht zufällig Volkswirt? fragte er. Macht nichts. Sie werden es trotzdem begreifen. Ich skizziere Ihnen hier die Grundzüge des sogenannten Spechtschen Modells. In der Laudatio werde ich es ausführlich und mathematisch sauber beschreiben. Jetzt geht es nur darum, daß Sie das Prinzip verstehen. Also: Seit Anfang der siebziger Jahre wissen wir, daß das Keynessche Instrument der Globalsteuerung durch staatliche Investitionsmaßnahmen nicht ausreicht, um Vollbeschäftigung zu erzielen. Daraufhin ist die Wirtschaftspolitik weltweit mehr und mehr auf die These Milton Friedmans umgeschwenkt, wonach durch eine Politik des verstetigten Geldmengenwachstums – mit anderen Worten, durch konsequente Inflationsbekämpfung – die Arbeitslosigkeit bis auf einen sogenannten natürlichen Rest reduziert werden kann. Sehen Sie, hier: Die senkrechte Koordinate bezeichnet die Höhe der Inflationsrate, die waagerechte die Zunahme der Arbeitslosigkeit. Nach Friedmans Vorstellung darf sich bei sinkender Inflationsrate die Arbeitslosenquote nicht über die natürliche Arbeitslosenrate hinaus entwickeln, es darf keine Bewegung in Richtung steigender Arbeitslosigkeit geben. Grafisch dargestellt, müßten Inflations- und Arbeitslosenquote parallel verlaufen. Tun sie aber in Wirklichkeit nicht. Empirisch beobachten wir trotz Geldwertstabilität eine Zunahme der Unterbeschäftigung – ab einem bestimmten Punkt biegt die angebliche natürliche Arbeitslosenkonstante in eine unschöne Kurve nach rechts um, weil die Arbeitslosigkeit steigt. Auf dieser ›Phillipskurve‹ – den Namen brauchen Sie sich nicht zu merken – spielt sich beschäftigungspolitisch das ab, was Sie weder durch eine Zinspolitik à la Friedman noch durch Keynessche Nachfragesteuerung in den Griff bekommen, die strukturelle Arbeitslosigkeit. Genau da setzt das Spechtsche Modell an. Der Staat schafft keine künstliche Nachfrage als marktwirtschaftlicher Lückenbüßer, sondern er finanziert eine neue Infrastruktur, die sich kein Einzelunternehmer mehr leisten kann: die schnellstmögliche Umsetzung
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