Monrepos oder die Kaelte der Macht
hielt ihnen vor, ihre Exportfahrzeuge für USA und Japan erfüllten bereits wesentlich strengere Abgasnormen als im Inland. Die Übernahme der amerikanischen Normen sei das mindeste, was man verlangen könne. Und für die Einführung bleifreien Benzins müsse ein fester Zeitpunkt her.
Die Bosse verschanzten sich hinter technischen Problemen und der Wettbewerbsverzerrung, die eine Ungleichbehandlung in der EG mit sich bringe. Specht erklärte, nach seiner Erfahrung werde die Industrie ungeheuer kreativ, wenn sie nur genügend politischen Druck verspüre. Die Manager suchten ihr Heil beim Bundesinnenminister.
Der äußerte zwar Verständnis, war aber schon etwas resigniert. Er brachte sie dazu, eine für später geplante EG-Richtlinie zur europaweiten Reduzierung von Autoabgasen freiwillig vorweg zu erfüllen.
Specht begrüßte die Entscheidung und forderte die Bundesregierung auf, in Brüssel massiv auf einen festen Terminplan zur Einführung des bleifreien Benzins zu drängen. Dann brachte er die früheren, abgelehnten Entschwefelungs-Initiativen wieder im Bundesrat ein.
Es war ein faszinierendes Hase- und Igel-Spiel, bei dem Specht die Bundesregierung wie einen Spielball vor sich hertrieb. Die Medien, allen voran Spiegel und Stern, verfolgten es mit unverhohlener Sympathie, und Oskar Specht wurde endgültig zur bundespolitischen Figur.
Tom Wiener schlug tagelang seine Zelte in der Bonner Landesvertretung auf, um die Bonner Journaille ins Bild zu setzen. Specht traf sich fortan regelmäßig mit den leitenden Redakteuren der politischen Magazine, spielte mit ihnen zusammen Tennis, dinierte und analysierte die Fehler der Bundesregierung.
Der Wald starb, Spechts Weizen blühte. Endlich einer, der handelte. Einer, der sogar den Mächtigen von Industrie und Eurokratie die Stirn bot. Kein eingetüteter Pappkamerad. Millionen lasen und begriffen es jetzt.
Mit dem Wald hatte Gundelach es nicht so sehr. Vielleicht deshalb, weil er darin aufgewachsen war. Die ersten Ängste, die früheste Trauer, das erwachende Bewußtsein – alles war auf irgend eine Weise mit Tannen, Farnen, ewiglangen Spaziergängen, mit Pferdeschlittenfahrten im peitschenden Schnee, bedrohlich knackenden Ästen und wehmütig stimmenden Liedern verbunden.
Gundelach glaubte dem Wald nicht, daß er sich anschickte zu sterben. Er hielt es für eine Finte des alten, grimmigen Waldgeistes, der sich wieder mal schuppte und kratzte wie alle paar Jahrhunderte, wenn zuviel Gewürm, Getier oder Gemensch an seinem Borkenkleid nestelte. Kein Grund zur Aufregung. Der alte Pflanzenwucherer hatte mehr Samen in seinem Schoß als alle Männer, die jetzt bataillonsweise ausschwärmten, ihn zu retten. Die ihn kalkten, düngten und bis in die Kapillarspitzen analytisch befragten.
Der Wald, da war sich Gundelach sicher, lachte sich eins in die Wipfel. Aber natürlich sagte er es niemandem. Man hätte ihn für verrückt erklärt. Und im übrigen fand er es durchaus in Ordnung, daß für ein paar tausend Tonnen Schwefel weniger in der Luft gesorgt wurde, der menschlichen Lungen und Stimmbandritzen wegen.
Benny war noch immer kruppgefährdet.
Statt den Wald zu retten oder Minister Zimmermann zu ärgern, widmete sich Gundelach der Wissenschaft. Die durfte sich durch den ›Zukunftskongreß‹ und die Arbeit der emsigen Kommissionen plötzlich vom Aschenputtel zur Märchenprinzessin befördert sehen – allerdings nur, wenn sie mit neuesten technologischen Reizen aufwarten konnte. Doch daran mangelte es nirgends. Selbst altehrwürdige Universitäten, die sich ihren geisteswissenschaftlichen Ruf bisher zur Zierde hatten gereichen lassen, versteckten die philologischen und philosophischen Muttersöhnchen plötzlich schamhaft in den Rockfalten der Alma mater, als handle es sich um rotznäsige Bastarde, und schoben an ihrer Stelle die pausbäckigen Laborbuben nach vorne, denen so offenkundig die ganze Liebe des technikbegeisterten Landesvaters galt.
Amerika hat die Mikrochips, Frankreich die Kernenergie, und wir haben die Diskussion, hatte Oskar Specht orakelt. Damit war klar, wen er künftig zu alimentieren gedachte und wen nicht. Das schmerzte zwar den Wissenschaftsminister, der gerne mal zwischendurch einen Klassiker im lateinischen Urtext las und zu allem Überfluß auch noch daraus zitierte. Doch da er Minister bleiben wollte, fügte er sich. Suckelte an seiner Pfeife und schwieg.
Binnen weniger Monate waren ein Zentrum für Opto- und Mikroelektronik, ein
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