Monrepos oder die Kaelte der Macht
Repräsentativen nutzte er alle Möglichkeiten, die ihm kraft Amtes zu Gebote standen. Wollte er die herrschende Klasse zum höheren Ruhm des Landes zur Kasse bitten, so lud er mit Vorliebe in die Bibliothek. Eingerahmt von den lieblich perlmuttschimmernden Intarsiendamen der kostbaren Wandtäfelung, die ernstfordernden Blicke gewesener Landeshäupter im Nacken und den gegenwärtigen Majordomus gestenreich deklamierend vor sich, gab es wenige, die ihm zu widerstehen die Stirn oder auch nur das nötige Sitzfleisch gehabt hätten.
Erst recht bei schwierigen Verhandlungen, auch wenn sie nichts weniger als Schönes und Gutes zum Gegenstand hatten, demonstrierte Oskar Specht die Kunst, Räumliches für Rühmliches zu nutzen, bis zum Virtuosentum. Dann wurde die ganze Palette hoheitlichen Prunks – Kristallüster und Spiegel, schwere Gobelins und goldlackierte Stühle – eingesetzt, um aus Ambition und Ambiente den gewünschten Effekt zu erzielen.
Als die Krise um die Luftfahrtfirma kulminierte, bestellte er beispielsweise die zerstrittenen Familienmitglieder und ihre Rechtsanwälte ins Schloß und traktierte sie zwölf Stunden lang mit immer neuen Ortswechseln, bis sie dem mehrheitlichen Verkauf ihrer Anteile an Daimler Benz zustimmten. Zwischen Bibliothek, Eckzimmer, Blauem Salon, Rundem Salon und Gobelinsaal mußten die Emissäre hin- und hereilen, um das jeweils letzte Angebot der einen Gruppe an die Geschwister und Schwäger, die Bevollmächtigten und Testamentsvollstrecker der anderen Stämme und Linien zu übermitteln. Specht, Kiefer und Reuter dagegen hatten ihr festes Domizil, und wenn sie sich auch des öfteren kundschaftend und vermittelnd zwischen den Fronten bewegten, so war doch zu keiner Sekunde zweifelhaft, wer Herr und wer Fremdling, wer seßhaft und wer in diesen Räumen nur gelitten war. Obendrüber, im Vorraum zum Kabinettssaal, aber saßen die Beamten und warteten vor ihren Aktenstößen, daß irgendwann der Ministerpräsident die Tür aufstieß und mit knapper, herrischer Geste bestimmte Unterlagen anforderte oder eine neue Variante durchzurechnen befahl. Wenn die wechselseitigen Bedingungen und Forderungen der Unversöhnlichen sich aber wieder einmal krisenhaft zuspitzten, bat er zu Einzelgesprächen in seine Amtsräume und ließ die übrigen in der Unwirklichkeit eines nächtlichen Spiegel- und Lüsterglanzes zurück, wie ihn nur ein zur Unzeit illuminiertes Schloß zu verbreiten vermag – voll zermürbender Ungewißheit, welche Hinterhältigkeiten in den benachbarten Kabinetten nun wohl wieder geschmiedet werden mochten.
Einzig eine energische junge Frau, Juristin und Mitbetroffene, zeigte sich von der pomphaften Inszenierung unbeeindruckt. Ein ums andere Mal preßte sie den Vorständen des Autokonzerns Zugeständnisse ab. Das bühnenhafte Spektakel mit Auftritten, Abgängen, Dekorationen, Ortswechseln und falschen Aktschlüssen schien sie nicht zu ängstigen, sondern anzuspornen.
Da wurden dann die Regisseure plötzlich zu Gefangenen ihres eigenen Stücks, denn sie brauchten den Erfolg. Sie brauchten ihn hier und jetzt, um ihre Vision eines Technologiekonzerns Daimler Benz, die sie wenig später durch den Erwerb weiterer Firmen konkretisieren wollten, an der politisch würdigsten Stelle und im Beisein des kompetentesten Visionärs, den das Land aufzubieten hatte, zu begründen. Nur die ebenso gescheite wie härtnäckige Frau hatte gemerkt, daß niemand in der Politik es sich leisten kann, nach derart großem Aufwand an Kulisse und Lichteffekten den Vorhang einfach herunterzulassen und die Vorstellung abzublasen.
Daß er sich mittlerweile in diesen Rahmen so bruchlos einfügte wie kaum einer seiner Vorgänger, schien Specht keineswegs zu beunruhigen. Zählte er nicht auch bundespolitisch längst zum Spitzenestablishment, vergleichbar allenfalls noch Strauß und Stoltenberg – nur daß der siebzigjährige Bayer die ganz große Zukunft schon hinter sich und der farblose Norddeutsche als Bundesverteidigungsminister den Kanzler jeden Tag vor sich hatte? Besaß er, der amtierende Bundesratspräsident, nicht Zugriffsrechte aufs Bonner Protokoll, bis hin zur Flugbereitschaft der Luftwaffe? Stärkten der Wahlsieg des jüngeren Lafontaine, die freundliche Herablassung gegenüber dem jüngeren Barschel nicht sein Empfinden, nach zwei gewonnenen Wahlen zum politischen Felsgestein der Republik zu zählen, das dem sedimentösen Kanzler an Trutz und Härte überlegen war?
Oskar Specht fing an, dem
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