Monrepos oder die Kaelte der Macht
Sonderbauprogramme und der Luftreinhaltemaßnahmen zu aktualisieren. Das sind neue, in Zeit und Konjunkturlage passende Zahlen. Für die Pressestelle allerdings braucht er noch einen jungen, motivierten Mann, einen Kämpfertyp, der ihm das Nachrichtenmaterial aus den anderen Abteilungen und aus den Ressorts eintreibt. Mit brutalem Druck, wenn’s sein muß. Nur so wird sich die absehbare Blockade der Minister überwinden lassen. Auch darüber muß er mit Zwiesel reden. Jetzt rechts. Am Fahrstuhlschacht vorbei bis zu Renfts Vorzimmer. An der Tür zum Vorzimmer anklopfen, das schwache, verhuschte ›Herein‹ abwarten. Nichts. Natürlich nichts. Renft in Pension – wie lange schon? Seine scheue, unterwürfige Vorzimmerdame verstorben – wie lange schon ? Sein Chefzimmer. Schau dich um. Die moosgrüne Seidentapete. Der venezianische Lüster. Die Empire-Sitzgruppe um den Besuchertisch aus Nußbaum-Wurzelholz mit eingelegter Intarsienplatte. Die gute Canaletto-Kopie im goldenen Rahmen überm Sofa. Der falsche Kamin aus grauem Marmor. Die stumme, viersäulige Spieluhr auf dem Sims. Und natürlich der gewaltige Schreibtisch; unverändert die Abdeckung aus grünem Leder, unverändert die beiden zierlichen Stühle an seiner Frontseite. Wie geht es Ihnen, wie haben Sie sich eingelebt? Danke, Herr Ministerialdirektor. Man lebt. Zwölf Jahre sind eine lange Zeit, aber man lebt. Und knüpft Kontakte. Sammeln Sie und knüpfen Sie, immer frisch drauf los, vielleicht sitzen Sie sogar eines Tages auf meinem Stuhl, was ich Ihnen nicht unbedingt wünsche. Ja, Herr Ministerialdirektor, und jetzt ist es soweit, denken Sie. Zwölf Jahre, um auf die andere Seite des Tischs zu gelangen. Etwas lächerlich, nicht? Eigentlich eine riesige Zeitverschwendung. Und doch auch wieder nicht, denn das meiste ist ja geblieben wie es war, also kann soviel Zeit, soviel Veränderungszeit gar nicht ins Land gegangen sein. Sie wissen das, Sie sind ja auch noch da, und offenbar besaßen Sie sogar ein wenig die Gabe der Prophetie, was Ihrem überaus korrekten Habitus, dem Nadelstreifenanzug, dem Spitzentaschentuch, der bordeauxroten Krawatte nun allerdings in keiner Weise anzumerken war. Bordeaux wird jetzt bei uns getrunken, nicht mehr getragen. Und wissen Sie, wer heute nachmittag auf diesem Stühlchen sitzen wird? Richtig, der Herr Zwiesel. Ich lade Sie ein, mir über die Schulter zu schauen und sich schadlos zu halten, Herr Ministerialdirektor. Wir geben’s ihm beide. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht lohnt es die Mühe gar nicht. Vielleicht ist das einzige, was lohnt, ab und zu ans Fenster zu treten, in den Park hinauszuschauen und am Sprossen und Fallen der Blätter die Jahreszeiten abzulesen. Denn das ist das schönste an Ihrem schönen, der Zeit und ihrem Wechsel entrückten Zimmer: daß man ab und zu aus der Unwandelbarkeit des Toten heraustreten und das Lebendige in seiner lautlosen, fließenden Überlegenheit betrachten kann.
Es klopfte.
Noch ehe Gundelach sich vom Fenster abgekehrt hatte, standen zwei junge Männer in karierten Hemden, Felljacken und Jeans im Zimmer.
Können wir schon aufbauen? fragten sie und breiteten Metallkoffer, Gestänge und Kabel auf dem Teppichboden aus. Sie wissen ja, um elf Uhr, das Interview zur Person, für die Regionalschau heute abend!
Fünftes Kapitel
Mono-Logisches
Koalition? Die Frage einer Koalition stellt sich nicht.
Aber, Herr Gundelach –.
Nein, wirklich nicht! Wir kämpfen um die absolute Mehrheit, und wir werden sie wieder schaffen.
Die SPD hat eine Meinungsumfrage veröffentlicht, wonach die CDU, wenn jetzt gewählt würde, nicht mehr als 45 Prozent bekäme. Und die FDP bietet dem Ministerpräsidenten schon jetzt Koalitionsgespräche an. Da können Sie doch nicht –.
Ich kenne die Umfrage der SPD. Ich kenne auch das Institut, das für die SPD arbeitet. Da müssen Sie von vornherein zwei Prozentpunkte für uns draufsatteln, um zu einigermaßen objektiven Ergebnissen zu gelangen. Und außerdem haben Sie bei nur tausend Befragten eine Fehlerquote von drei Prozent. Aus der Umfrage läßt sich also ebensogut der erneute Wählerauftrag für eine Alleinregierung ableiten. Im übrigen orientiert sich unsere Politik nicht an der Demoskopie, sondern an Inhalten.
Trotzdem: Was passiert, wenn Sie im Frühjahr Ihr Wahlziel nicht erreichen? Steht Herr Specht auch für eine Koalitionsregierung mit der FDP zur Verfügung?
Wie ich schon sagte, handelt es sich um eine rein hypothetische Frage. Es gibt
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