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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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Einstellung zu Specht zu überdenken. Klar, wir halten dagegen. Aber dafür brauchen wir Fakten, die zeigen, daß wir recht haben und nicht die Hamburger.
    Gundelach berichtete Specht und lud den neuen Spiegel-Chefredakteur ein. Er fand die Einschätzung seiner Bonner Gewährsleute bestätigt. Der Mann war blaß und distanziert, das genaue Gegenteil des journalistischen Vollbluts Erich Böhme. Kaum vorstellbar, daß er mit Specht nächtens am Kamin Flaschen schweren Bordeaux köpfen würde.
    Die Monate vor der Sommerpause waren bis zur Besinnungslosigkeit mit Arbeit ausgefüllt. Die Pressearbeit im Land durfte unter dem Versuch, Spechts bundesweites Image auf Hochglanz zu polieren, nicht leiden. Gundelach bestritt die wöchentlichen Pressekonferenzen meistens allein; ab und zu nahm er einen Minister mit. Als Chef der Grundsatzabteilung steuerte er die Umsetzung des Regierungsprogramms und hielt die Ressorts, soweit sie es mit sich geschehen ließen, am kurzen Zügel. Im April wurde mit großem Medienaufwand die zweite Konferenz europäischer Wirtschaftsführer zelebriert. Alfred Herrhausen, Edzard Reuter, der Italiener Carlo de Benedetti, der Franzose Francois-Xavier Ortoli, der Schweizer Helmut Maucher, der Schwede Peter Wallenberg sowie ein Dutzend weiterer Bosse diskutierten über den europäischen Binnenmarkt und verhalfen Specht zum Gruppenbild mit Reservekanzler.
    Der amtierende nahm die Herausforderung an und walzte eine Woche später zum Landesparteitag der CDU. Gundelach schrieb für Specht die Rede und beschränkte Konflikte und Komplimente aufs Unumgängliche. Die Delegierten mochten sich nicht entscheiden und verteilten Beifall und Sympathie zu gleichen Teilen auf die breite und schmale Schulter.
    Im Mai erklärte Specht in einem Interview mit der Bild-Zeitung, er werde nicht gegen Kohl kandidieren. Man valutierte es zum Bildzeitungskurs und spekulierte weiter.
    Zäh und fintenreich schleppten sich auch die Verhandlungen über die Rundfunkfusion voran. Gundelach saß in diversen Kommissionen, und seine Zweifel am Gelingen des Projekts wuchsen. Abends sprach er des öfteren vor lokalen Parteiversammlungen über die Bedeutung der herannahenden Europawahl oder bereicherte regionale Wirtschaftstage, Banken- und Verbandsjubiläen als Festredner. Er konnte sich die Anlässe aussuchen. Schließlich kannte man ihn aus der Presse.
    Nachts schrieb er an Spechts Europabuch. Im Herbst, zur Frankfurter Buchmesse, sollte es erscheinen. Nachdem sich Baron Thyssen-Bornemisza undankbarerweise doch für Madrid und gegen die Landeshauptstadt entschieden hatte, mußte wenigstens literarisch bewiesen werden, daß man etwas von Kultur in abendländischen Dimensionen verstand. Und von Ostpolitik, Verteidigungspolitik, Bündnispolitik. Von Wirtschaftspolitik, Währungspolitik, Technologiepolitik, Verkehrspolitik sowieso. Auch vom Kräftespiel zwischen EG-Kommission, Ministerrat und europäischem Parlament. Im September stand der CDU-Bundesparteitag in Bremen an. Gut möglich, daß die Dinge dort auf eine Entscheidung zutrieben. Dann würde das Buch wie eine außenpolitische Regierungserklärung gehandelt werden. Der Verlag stand Gewehr bei Fuß, Specht trieb zur Eile.
    Mitte Juni besuchte Gorbatschow die Bundesrepublik. Er machte Station in der Landeshauptstadt. Nicht in München, was Ministerpräsident Streibl, den Nachfolger von Franz Josef Strauß, bis zur Weißglut ärgerte. Gorbatschow wirkte im vertraulichen Gespräch ernst, angespannt, mitunter ratlos. Gundelach fand ihn sehr verändert.
    Vielleicht fehlte aber auch bloß die Aureole des Kreml.
    Es war gut, nicht zur Besinnung kommen zu müssen. Die leere Wohnung hatte etwas Schreckliches. Auf dem Schreibtisch lagen Bennys Briefe, in denen er von seinen Fortschritten in der Schule und von den vielen neuen Freunden erzählte. Die Briefe lagen da wie Ikonen. An der Wand hingen zwei farbige Zeichnungen, die Heike geschickt hatte.
    Segelboote auf der Alster. Schiffe und Kräne im Hafen.
    Gundelach hatte die Blätter sogleich rahmen lassen. Nachts, wenn er schrieb und manchmal vor Müdigkeit auf dem Stuhl einschlief, fuhr er auf den Schiffen nach Norden. Mit einer ganzen Flotte, wie ein Eroberer. Er kam aber nicht an. Es gelang ihm nicht, siegreich zu sein, bevor er aufwachte.
    Die Trennung dauerte nun schon mehr als ein halbes Jahr. Gundelachs Hoffnung, Heike zur Rückkehr bewegen zu können, schwand. Allerdings, so mußte er sich eingestehen, hatte er es auch noch gar nicht

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