Monrepos oder die Kaelte der Macht
Specht erklärte sich nicht. Wie in einem Katz- und Mausspiel wich er seinen Mitarbeitern, die hochmotiviert und kampfeslustig konkrete Direktiven erwarteten, aus. Alles, was er sich zu dem Thema entlocken ließ, war die im Vorübereilen hingestreute Bemerkung, er müsse erst noch mit dem Präsidium klarkommen.
Gleichwohl nahm er eine Reihe von Interviewwünschen an, bei denen er mit der Politik des Kanzlers außerordentlich kritisch umsprang. In der Öffentlichkeit mußte der Eindruck entstehen, Specht werde auf jeden Fall antreten, wolle die Bombe aber erst kurz vor dem Parteitag platzen lassen. Manche Journalisten hielten das für einen Akt besonderer Klugheit, mit dem eine vorzeitige Demontage durch Kohls Hilfstruppen vermieden werden sollte.
Die Tage verrannen, und Gundelach wurde immer verzweifelter. Allmählich wurde ihm bewußt, daß Specht der Mut verlassen hatte. Um es sich nicht einzugestehen, suchte er einerseits nach Ausflüchten, andererseits agierte er immer noch so, als wäre er entschlossen, die Kraftprobe zu wagen. Das mußte schiefgehen.
Gundelach bat dringlich um eine Unterredung mit Specht. Er bekam keinen Termin. Also lauerte er dem Ministerpräsidenten vor dessen Amtszimmer auf und beschwor ihn, neben ihm die Treppe zum wartenden Auto hinunterrennend, für klare Verhältnisse zu sorgen.
Was wollen Sie! rief Specht entnervt. Mit diesem Präsidium läßt sich doch nicht mal ein Scheißhaus stürmen!
Nicht Blüm, Albrecht oder Süßmuth seien entscheidend, wandte Gundelach ein, sondern die Parteibasis und die Delegierten. Und die warteten auf ein Signal, um sich ihre Meinung bilden zu können.
Selbst wenn Sie in Bremen unterliegen sollten, bekommen Sie in jedem Fall ein achtbares Ergebnis! sagte er beschwörend und hielt Specht die Tür auf. Und danach sind Sie unangefochten die Nummer zwei in der Partei!
Ich will, daß mich das Präsidium offen unterstützt, sonst mach ich’s nicht! antwortete Specht erzürnt, und weg war er.
Die letzte Sitzung des Parteipräsidiums vor dem Parteitag war auf Montag, den 28. August, terminiert. Jeder wußte: Wer Kohl ans Leder wollte, mußte spätestens dort aufstehen und es laut und vernehmlich kundtun – eiskalt wie die Nächstenliebe, hätte ein gesunder Werner Wrangel, die Zähne bleckend, wohl gesagt. Tags zuvor wollten sich die Rebellen, von denen einige bereits verdächtig still geworden waren, im Bonner Gästehaus des Landes treffen, um eine gemeinsame Position abzustimmen.
Gundelach beschloß, freitags nochmals einen Versuch zu starten, um Specht zu überzeugen.
Am Freitag wurde ab zehn Uhr im Umweltministerium des Landes ein elektronisches Frühwarnsystem vorgestellt, das Veränderungen in der Wasserqualität anzeigte. Wenn im Rhein überdurchschnittlich viele Flöhe verendeten, blinkten in der Hauptstadt Computerlampen. Das war doch etwas. Specht selbst begab sich zur Demonstration, weniger des Umweltministers oder der Flöhe wegen, sondern weil die Firma McArthur das System mit ausgeknobelt hatte und Freund Eckert eigens aus München eingeflogen war.
Um Viertel vor zehn bezog Gundelach am Eingang des Ministeriums Posten. Zumindest sollte Specht hören, was der Spiegel-Redakteur gestern abend am Telefon gesagt hatte: Wenn Oskar am Montag kneift, weiß er hoffentlich, was das für ihn bedeutet!
Specht kam in Begleitung Eckerts und wurde sofort vom Umweltminister in Beschlag genommen. Schließlich war es seine Veranstaltung. Auch Specht winkte ab: jetzt nicht.
Na gut, dachte Gundelach, dann nachher. Und setzte sich, obzwar nicht eingeladen, in den abgedunkelten Flohzirkus. Um halb zwölf waren genügend Flöhe im Dienst des Landes gestorben. Beamte und McArthurianer geleiteten Specht und Eckert im Pulk hinaus.
Gundelach kriegte Specht am Arm zu fassen und flüsterte: Ich muß mit Ihnen sprechen. Dringend!
Später, sagte Specht. Ich geh jetzt mit Eckert ins Interconti, mittagessen.
Das Hotel Intercontinental lag fünfzig Meter vom Ministerium entfernt. Der Umweltminister und Gundelach, obzwar wieder nicht eingeladen, marschierten mit.
Gundelach murmelte: Sie müssen unbedingt noch heute mit dem Spiegel telefonieren! Wenn Sie am Montag –.
Der Minister unterbrach ihn und rühmte die gute Zusammenarbeit zwischen seiner Verwaltung und der Firma McArthur bei der Konzipierung des elektronischen Frühwarnsystems. Eckert gab das Kompliment zurück und begeisterte sich an seinen ›Topleuten‹, die demnächst auch das Rundfunkfusionsgutachten
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