Monrepos oder die Kaelte der Macht
ihn auf Platz eins der Vorschlagsliste zu setzen? Professor Baltus giftet zurück: Auf unsachliche Anwürfe lasse ich mich nicht ein! Meine Herren, sagt der Ministerpräsident, wir können das jetzt nicht ausdiskutieren, in einer halben Stunde ist Pressekonferenz. Ich werde die Sache im Auge behalten.
Jede Kabinettssitzung schließt mit denselben Tagesordnungspunkten: Einladungen, Ehrungen, Personalsachen, Pressekonferenz, Verschiedenes.
Einladungen gibt es reichlich, meist werden sie den Staatssekretären zugeteilt, die deshalb schon ihre Terminkalender aufgeschlagen haben. Auch Ehrungen werden ein Jahr vor der Landtagswahl freigiebig gewährt, vor allem Bundesverdienstkreuze. Personalsachen sind immer spannend, es geht um Beförderungen. Die Pressekonferenz hat Bertschs Abteilung vorbereitet, die Pressemitteilungen liegen vor, nichts muß verändert werden. Punkt Verschiedenes: Der Wirtschaftsminister informiert in einer vertraulichen Tischvorlage über den bevorstehenden Konkurs einer Maschinenbaufirma. Die Banken halten nur noch wenige Tage still, sechshundert Arbeitsplätze sind in Gefahr. Das Land soll Bürgschaften übernehmen und fünf Millionen aus dem Liquiditätshilfeprogramm zuschießen.
Der Finanzminister warnt mit rollendem Groll: Das Geld sehen wir nie wieder! Wer selbst nichts hat, sollte nicht den reichen Onkel spielen.
Er wird überstimmt. Man muß an die Arbeitsplätze denken, und auch an die Wahl. Der Wirtschaftsminister erhält den Auftrag, mit der Geschäftsführung und den Banken zu verhandeln und ein schlüssiges Sanierungskonzept zu verlangen.
Breisinger schließt die Sitzung und bittet Bertsch zu sich ins Arbeitszimmer.
Gundelach erhebt sich wie betäubt. Was er gesehen und gehört hat, macht ihn schwindlig. Mit welcher Präzision alles abgelaufen ist, wie perfekt Breisinger und seine Vertrauten sich die Bälle zugespielt haben! Und in dieses kunstvolle Räderwerk ist er mit seinem Geplapper übers Landesjubiläum hineingestolpert, unbekümmert und voller Stolz, dem Ministerpräsidenten die Richtung weisen zu können! Schlimmer noch: In wenigen Wochen schon muß er seine Gedankenblasen dem Ministerrat zur Begutachtung vorlegen! Wenn er dürfte, er ginge stehenden Fußes zu Breisinger und bäte ihn, den Auftrag zurückzunehmen. Es geht aber nicht, er hat den Mund gespitzt, jetzt muß er pfeifen. So elend, wie ihm zumute ist, wird es ein klägliches Pfeifen werden …
Erst die Pressekonferenz bringt ihn wieder zu sich. Da ist auch Rudolf Breisinger nur Mensch, kreuzt die Füße nervös, um gleich darauf die Schuhspitzen gegen das Parkett zu stemmen – was Gundelach, der schräg hinter ihm sitzt, so ablenkt, daß er Mühe hat, den Themen zu folgen. Das Land hat eine Milliarde Mark Steuerausfälle zu beklagen, der Bund gleicht nichts aus, und Breisingers Schuhsohlen sind in einem beklagenswerten Zustand. Die Brandsohle ist fast durchgelaufen, und mit Willy Brandts ›Wir fangen erst richtig an!‹ hat alles angefangen.
Gundelach ruft sich zur Ordnung.
Vielleicht ist er auch nur froh, daß der Druck, dem eingespielten Ritus der Kabinettssitzung nicht gewachsen zu sein, langsam weicht. Die Journalisten sitzen auf denselben Stühlen an demselben ausladenden Tisch wie eine halbe Stunde zuvor die Minister, Staatssekretäre und Abteilungsleiter. Aber schon das stimmt nicht: sie sitzen nicht, sie hocken. Lümmeln mit dem Arm auf der Tischplatte, kritzeln Unleserliches in ihre zerfledderten Kladden, stellen respektlose Fragen und unterhalten sich ungeniert, während Breisinger antwortet. Und der muß weiterreden. Zwar könnte Gundelach wetten, daß Günter Bertsch, links neben Breisinger plaziert, grimmig dreinschaut; doch Pressefreiheit heißt, sich das Maul nicht verbieten zu lassen.
Dort, wo Gundelach stocksteif auf seinem Stühlchen gesessen hat, ist jetzt eine Fernsehkamera aufgebaut. Der Kameramann trägt schulterlange Haare und Jeans, die aussehen, als legte er sich in ihnen schlafen. Der Tontechniker kniet neben dem Aufnahmegerät, und als ihm warm wird, schmeißt er seine Lederjacke neben sich auf den Boden.
Breisingers Stimme klingt wie in Öl gewendet, als er den Vorwurf, das Land stelle zu wenig Lehrer ein, zurückweist.
Lieber Herr Fendrich, sagt er, das ist so sicher nicht richtig. Die Übernahmequote liegt bei über achtzig Prozent, und das in einer Zeit, da wir in der allgemeinen Verwaltung fünftausend Stellen gesperrt haben! Das sind Fakten, lieber Herr Fendrich!
Dr.
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