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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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das meiste seinem Fahrer und den Polizisten überließ, nicht her. Fast überall trat auch ein Lokalpoet auf, der mit bebender Stimme und Reimen, die der L 412 glichen, die Ortschronik vortrug und versicherte, daß der heutige Tag ein Festtag für alle Bürger sei, allenfalls vergleichbar jenem, an dem der Bundesverkehrsminister in den Mauern geweilt hatte.
    Aber das war schon sehr lang her.
    Und Breisinger wußte, was dann von ihm erwartet wurde! Erhöht auf einem Treppenabsatz, einem Podest oder Alkoven stehend, breitete er die Arme aus und umfaßte mit warmen Worten die fleißigen Bürger der schmucken Gemeinde. Treu seien sie, heimatverbunden und weltoffen. Ein blühendes Gemeinwesen hätten sie geschaffen, Tradition und Fortschritt aufs glücklichste miteinander vereint, das Erbe der Väter bewahrt und gemehrt. Stolz könnten sie auf sich sein, und die Landesregierung sei stolz auf sie. Kein schöner Land, wie es so wahr im Lied heiße … Aber – und hier umwölkte sich sein heiterer Tonfall: es gelte, auf der Hut zu sein. Ehrlose Fanatiker versuchten zu zerstören, was in dreißig Jahren mühsam aufgebaut wurde. Blinde Ideologen machten sich zu ihren Helfershelfern – wissentlich oder nicht, das spiele keine Rolle. Denn nicht der sei liberal, der Verfassungsfeinde gewähren lasse, und nicht der sozial, der alles verspreche und nichts halte. Sondern es komme darauf an, die christlichen Grundwerte entschlossen zu verteidigen und Systemveränderern entschieden die Stirn zu bieten. Der Rechtsstaat müsse stark und die Demokratie wehrhaft sein. Das habe man aus der Geschichte gelernt. Doch auch jenes wisse man: die Wurzeln unseres gottgesegneten Landes reichten tiefer und seien stärker als alle Anfeindungen von außen, und sie legten sichtbar Zeugnis ab vom Mut und Gemeinsinn tatkräftiger Bürger. Und aus dieser lebendigen Tradition – hier schwang sich Breisingers Stimme wieder zu lichten Höhen empor – schöpfe man die Kraft zur Bewältigung der Zukunft … Das größte Kapital unseres schönen Landes und seiner blühenden Städte und Dörfer, rief Breisinger, sind Sie selbst, meine lieben Landsleute! Und deutete, stellvertretend für alle, auf die Bürger Birkingens, Bollderdingens oder wo sonst man gerade aus dem Bus gekrabbelt war, in den aufbrausenden Jubel hinein.
    Derweil parkten am Rande der Menge die begleitenden Mercedeslimousinen und hatten den Kofferraum geöffnet. Assistiert von den Fahrern, verteilte Inspektor Bertram Papierfähnchen in den Landesfarben, Autogrammkarten mit Breisingers Signatur, Bildbroschüren und Kugelschreiber, auf denen der Namenszug des Ministerpräsidenten eingraviert war. Nicht nur die Kinder drängten herbei. Der Persönliche Referent eilte zwischendurch zum Chefwagen, telefonierte, ehrfürchtig bestaunt, mit seinem Büro, ob etwas Wichtiges anliege, suchte aus der Terminmappe die Unterlagen für den nächsten Auftritt heraus und trug sie zum Bus, um sie gegen die vorigen, die Breisinger auf dem Sitz hatte liegen lassen, auszutauschen. Wenn der Ministerpräsident wollte, konnte er sie auf dem Weg zum nächsten Ort lesen und die Leute nicht nur mit volltönender Rhetorik, sondern auch noch mit Detailkenntnissen über die jeweilige Ortschaft verblüffen.
    Sobald Breisingers Rede geendet hatte, setzte als erstes die Kapelle wieder ein, blies was das Zeug hielt, die Kinder schwenkten ihre Fähnchen, und der Landesvater winkte, daß die Anzugnähte krachten. Es waren ansteckend schöne Szenen. Landrat, Bürgermeister, Abgeordnete, alle winkten. Von der Bedeutung der historischen Stunde übermannt, schneuzte der geschichtskundige Verseschmied in ein tischtuchgroßes kariertes Taschentuch.
    Breisinger teilte die Menge wie Moses die Fluten, und wie ein Sämann schwenkte er den rechten Arm, Schriftzüge in geöffnete Handfurchen streuend, die sein Porträt gleich einer Devotionalie hochhielten. Auch versäumte er nirgends, dem Dirigenten der Blasmusik herzlich die Hand zu schütteln und ihm mit der anderen ein Kuvert zuzustecken, in dem unschwer eine Geldspende vermutet werden konnte; worauf dieser, gerührt und verlegen, dem Ministerpräsidenten den Taktstock reichte und um ein paar zünftige Schläge bat. Das erhöhte die Lautstärke der Darbietung, entkrampfte aber auch Breisingers schmerzende Schultern.
    Die Herren der Begleitdelegation hatten bereits wieder Platz genommen, erregt und erhitzt auch sie. Breisinger, endlich eintreffend, blieb stehen, bis der Bus anfuhr,

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