Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf
Chance, senkte den mächtigen Kopf und stürzte sich auf die gewaltige Zielscheibe, die der fliehende Hintern des Mannes darbot, die spitzen Hörner bereit, sich in das Fleisch zu bohren und den Mann ins Nirwana zu befördern. Dann, gerade als es so schien, dass das Unvermeidliche geschehen würde, riss sich der Mann in einem Augenblick schierer Genialität, inspiriert von panischer Angst, die orangefarbene Baskenmütze vom Kopf und schleuderte sie einem Frisbee gleich die Straße vor ihm entlang, während er sich gleichzeitig ungeachtet des Schmerzes erneut unter den elektrischen Zaun warf und sich in Sicherheit brachte.
Für den Bruchteil einer Sekunde blieb der Stier stehen, unsicher, welchem Ziel er nun folgen sollte, dem Fleischberg oder der orangefarbenen Scheibe, die, von einem leichten Wind erfasst, immer noch vor ihm hersegelte. In diesem Augenblick fielen die letzten Sonnenstrahlen auf die Baskenmütze und ließen sie aufleuchten, und der Stier stürmte wieder hinter ihr her. Als die Mütze zu Boden segelte, verfing sich ihr Rand an der Spitze eines Horns, und wie sehr der Stier auch den Kopf schüttelte, die Mütze baumelte vor ihm hin und her und machte ihn nur noch rasender. Er stürmte brüllend die Straße hinauf, das Objekt seiner Wut verlockend nah und dennoch außer Reichweite.
Zufrieden, dass die Straße nun frei war von Gefahr, kroch der Mann abermals unter dem Draht hindurch – dieses Mal allerdings ohne Malheur, und hastete hinüber zu dem schmalen Pfad, der mit dem zusammenlief, auf dem sich Paul und Lorna weiter oben zwischen den Bäumen befanden. Sie sahen zu, wie er sich keuchend und schnaufend den steilen Anstieg Richtung Fogas hinaufmühte.
Sie blieben für eine kleine Weile stumm dort stehen, beeindruckt von dem Drama, das sie gerade miterlebt hatten.
»Ich schätze, damit ist die Entscheidung gefallen«, sagte Paul schließlich.
»Jawohl. Denselben Weg zurück, den wir gekommen sind?«
Paul nickte, und sie machten sich auf den Rückweg hinunter zum Dorf, wobei sie sich immer wieder umdrehten und Ausschau hielten, für den Fall, dass der Stier zurückkehrte.
Kapitel 8
Josette war nicht hinter der Theke der Épicerie , als Christian vor dem Laden hielt. Stattdessen saß Véronique auf dem Hocker. Sie war in ein Buch vertieft, das auf der Glasvitrine lag. Ihr Haar hing offen, die silberne Spange, mit der sie es für gewöhnlich bändigte, lag achtlos neben ihr, so als habe sie sie sich aus Verdrossenheit vom Kopf gerissen, während sie sich mit dem Text abmühte. Ihre Stirn legte sich in Falten, als ihr Finger den Worten über die Seite folgte und ihr Verstand versuchte, sie sich einzuprägen. Sie seufzte und begann wieder am Anfang des Absatzes.
Während er sie verstohlen von draußen beobachtete, dachte Christian bei sich, dass sie irgendwie anders aussah. Sie wirkte so … jung! Und fast schon hübsch. Er schüttelte den Kopf, rief sich in Erinnerung, dass das hier Véronique Estaque war, und betrat den Laden.
Véronique sprang schuldbewusst auf, als sie hörte, wie die Tür sich öffnete, und sie errötete und ließ rasch das Buch von der Vitrine in ihren Schoß fallen, sodass er den Titel nicht zu lesen vermochte.
»Doch wohl nicht wieder irgendwelche Heiligenviten?«, frotzelte Christian lächelnd, nachdem er sie begrüßt hatte.
Véronique biss nicht an, sondern beförderte das Buch noch weiter außer Sichtweite.
»Wer ist es denn dieses Mal? Bernadette? Franz von Assisi? Die gottesfürchtige Hirtin St. Germaine, die Schutzheilige unserer geliebten Pfarrkirche?« Hierbei legte er den Kopf zur Seite, presste seine Hände wie zum Gebet zusammen und schürzte die Lippen in einer, wie er glaubte, frommen Pose. Véronique konnte nicht anders, sie musste schallend lachen.
»Sie werden in der Hölle schmoren, Monsieur Dupuy!«, rief sie, halb im Ernst, halb im Spaß.
Christian warf den Kopf zurück. Er tat ihre Worte mit einem verächtlichen Herabziehen der Mundwinkel ab, und sein Gesichtsausdruck war weit entfernt von dem sanftmütigen Gebaren, das er noch wenige Augenblicke zuvor an den Tag gelegt hatte. »Nun, da werden mir ja viele aus dieser Gemeinde Gesellschaft leisten. Also, wo steckt denn die heilige Josette? Wir sind spät dran.«
»Hat Fatima dich denn nicht angerufen?«
»Fatima Souquet? Warum in aller Welt sollte sie mich anrufen?«
Véronique blickte ihn verwundert an. »Sie ist vor einer Viertelstunde hier vorbeigekommen, um Josette abzuholen. Sie sagte,
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