Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Monströse Welten 1: Gras

Monströse Welten 1: Gras

Titel: Monströse Welten 1: Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
Vom Netzwerk:
Heiligkeit ganz nach Gusto. Jeder wußte, daß diese Ausnahmeformulare Travestie waren. Das Ausfüllen eines solchen Bogens diente nur als Signal für die Geheiligten Missionare, die Abtrünnigen zu identifizieren und zu jagen, bis der Missionar ihnen ein paar lebende Zellen abgenommen hatte. Dazu genügte eine belebte Straße oder ein Gehweg. Ein schneller Knuff reichte. Der Stich einer Nadel, wie ein Zwicken oder Kneifen. Sie waren wie Ratten, diese Missionare, räuberische Parasiten, die Namen und Gewebeproben dem… dem hier zuführten.
    Dem hier. Heiligkeit/ Einheit/Unsterblichkeit. Die Worte waren allgegenwärtig, in die Fußböden und Wände eingemeißelt und in die Türklinken geprägt. Wo der Platz nicht ausreichte für die ganze Wortkombination, wurde eben die Abkürzung verwendet: H/E/U, H/E/U, H/E/U.
    »Blasphemische Fiktion«, murmelte Rigo; ein Zitat von Vater Sandoval. Er versuchte, kürzere Schritte zu machen, um dem Führer nicht auf die Fersen zu treten und wünschte sich bei jedem Schritt, nicht hergekommen zu sein. Nicht für Onkel Carlos. Carlos, der Verräter. Der Tatbestand der Häresie war an sich schon schlimm genug gewesen; und jetzt war er obendrein noch Hierarch, eine Schande für jeden Altkatholiken.
    Der maskierte Führer blieb stehen, musterte Rigo flüchtig, als ob er sich davon überzeugen wollte, daß die Kleiderordnung auch stimmte, und klopfte an eine tief in die Wand versetzte Tür. Dann öffnete er und bedeutete Rigo, einzutreten. Es war ein kleiner, schmuckloser Raum mit drei Stühlen. Im Schneidersitz nahm der vermummte Ministrant auf einem davon Platz; auf dem Schoß lag ein cleric-all. Auf einem anderen Stuhl, der in der Nähe einer spaltweit geöffneten Tür stand, saß zusammengesunken ein alter Mann, eine lebende Leiche mit trüben, tief in den Höhlen liegenden Augen. Seine bandagierten Hände zitterten, und mit zittriger Stimme fragte er:
    »Rigo?«
    »Onkel?« fragte Rigo unsicher zurück. Er hatte Carlos seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen. »Onkel Carlos?« Ein Gestank lag im Raum, wie eine Dachkammer, in der jemand gestorben war.
    Das Zittern verlagerte sich von den Händen zum Kopf, wobei Rigo dies als ein Nicken interpretierte. Die Hand wies kraftlos auf den leeren Stuhl, und Rigo nahm Platz. Vor ihm saß der leibhaftige Tod, dessen Leben eigentlich schon längst abgelaufen war. Wider Willen spürte er Mitleid. Der Ministrant auf dem dritten Stuhl war Protokollführer und hatte bereits den cleric-all zwecks Aufnahme und Transkription eingeschaltet.
    »Mein Junge«, ertönte ein Flüstern. »Wir möchten dich um etwas bitten. Du sollst für einige Zeit auf Reisen gehen. Es ist wichtig. Es handelt sich um eine Familienangelegenheit, Rigo.« Dann lehnte er sich zurück und hüstelte schwach.
    »Onkel!« Der Teufel sollte ihn holen, wenn er ihn als Hierarch titulierte. »Du weißt doch, daß wir nicht zu den Geheiligten zählen.«
    »Du sollst es auch nicht für Heiligkeit tun, Rigo. Ich bitte dich im Namen der Familie darum. Für deine Familie. Alle Familien. Ich sterbe. Ich bin nicht wichtig. Wir sterben alle…« Er wurde von einem Anfall geschüttelt.
    Die Tür ging auf, und zwei vermummte Adjutanten stürmten in den Raum, wobei sie sich vor lauter Beflissenheit fast selbst über den Haufen gerannt hätten.
    Rigo streckte eine Hand aus. »Onkel!«
    Die beiden Figuren schauten ihn mit fanatischem Gesichtsausdruck drohend an und schlugen ihm die Hand weg.
    Schwächlich schlug der alte Mann nach ihnen. »Laßt mich, laßt mich, ihr Narren! Laßt mich!« bis sie von ihm abließen und sich zögerlich trollten. »Keine Kraft für Erklärungen«, murmelte er mit fast geschlossenen Augen. »O’Neil wird es dir erklären. Arsch. Nicht du. O’Neil. Arsch. Schreib das nicht auf«, sagte er zum Ministranten. »Bitte, Rigo«, wandte er sich wieder an seinen Neffen.
    »Onkel!«
    Der Mann riß sich zusammen und musterte Rigo mit einem Totenkopf-Blick. »Ich weiß, daß du nicht an Heiligkeit glaubst. Aber du glaubst doch an Gott, Rigo. Bitte, Rigo. Du mußt gehen. Du und deine Frau und deine Kinder. Deine ganze Familie, Rigo. Für die Menschheit. Wegen der Pferde.« Er hustete wieder.
    Diesmal war es kein vorübergehender Anfall, und die Servitoren kamen sofort herein, um den alten Mann fortzuschaffen. Rigo behielt Platz und musterte die ihm gegenübersitzende anonyme Kalkratte. Dann hängte der Ministrant sich den cleric-all um die Schulter und bedeutete Rigo, ihm nach

Weitere Kostenlose Bücher