Monströse Welten 2: Hobbs Land
Auge sah, wenn sie ein schönes Kleid trug? Vielleicht sollten sie und Samstag diese Kleider anziehen, wenn sie nach Voorstod gingen. Nein, auf keinen Fall. Eine gutgekleidete Frau würde sicher von den Propheten verdammt werden. Frauen waren die Manifestation der Sünde. Sie durften nicht schön sein. Sie sollten sich verhüllen, wenn sie schon ihre Gemächer verlassen mußten.
Sie gingen durch die von festlichem Trubel erfüllten Straßen zum Hotel, wo der Kommandeur, seine Tochter und der Subalterne sie bereits zum Abendessen erwarteten. Als sie mit dem Essen fertig waren, hatten die Straßen sich schon etwas geleert, und sie wurden von einer Eskorte zur nahegelegenen Konzerthalle begleitet. Ihre Plätze befanden sich an der Seite des Orchesters; die Loge bestand aus in zwei Dreierreihen angeordneten, bequemen Stühlen, die vorn durch ein niedriges, vergoldetes Geländer von der Bühne und dem Saal abgeteilt war. Zu ihrer Linken befand sich eine ähnliche Loge.
»Dort wird die Königin sitzen«, sagte der Kommandeur und wies auf eine ihnen direkt gegenüberliegende, größere Loge. In der Mitte stand die lackierte und mit Einlegearbeiten versehene Gharm-Harfe, wobei die Stühle des Orchesters halbmondförmig zur Rechten aufgestellt waren.
Samstag betrachtete die Bühne; von dem ungewohnten Wein, den sie zum Abendessen getrunken hatte, war sie leicht beschwipst. Man hatte nicht den Eindruck, daß hier gleich großartig aufgespielt würde. Die Stühle waren leer, und die Verstärker waren ausgeschaltet, so daß sie wie dunkle, eckige Skelette wirkten. Die Szenerie erinnerte vielmehr an ein Schlachtfeld, auf dem die Knochen der geschlagenen Armee bleichten. Keine erbauliche Metapher. Resolut drehte sie sich zum Publikum um. Dort war alles voller Leben. Sie konzentrierte sich auf die Bewegungen, die Gespräche und das Lachen der Leute.
Maire musterte sie mit einem leichten Stirnrunzeln. »Alles in Ordnung mit dir?« fragte sie.
»Dinge stürmen auf mich ein«, flüsterte Samstag. »Aber ich wehre sie ab.«
Maire drückte ihr die Hand. O ja. Die Dinge stürmten in der Tat auf einen ein.
»Uns wird eine große Ehre zuteil«, sagte Eline. »Diese Plätze sind nämlich für die Gäste der Königin reserviert. Ich habe noch nie so dicht an der Bühne gesessen. Normalerweise sitze ich mit meinen Freunden dort oben.« Sie deutete in die Höhe. »Wo die Studenten sitzen.«
Hoch über ihnen schienen blasse, punktgroße Gesichter an der Decke zu kleben, wie Früchte an einem Baum; die Leute blätterten in Programmheften, und die Münder öffneten und schlossen sich rhythmisch.
»Die Königin hatte angeordnet, daß aus gegebenem Anlaß das Programm auf Büttenpapier gedruckt wurde«, sagte der Kommandeur und reichte jedem von ihnen einen Schnellhefter mit einer goldenen Schnur, Quasten und dem großen Siegel von Ahabar auf dem Deckblatt. »Gleichzeitig dient es als Souvenir.«
Sam saß zwischen dem Kommandeur und dem Subalternen in der Reihe hinter den Frauen. Der junge Offizier hatte ihn am Nachmittag zu einem Einkaufsbummel mitgenommen, und seitdem fand Sam Gefallen am fröhlichen Treiben in Ahabar. Überall Leute. Überall Fahrzeuge. Lachen und Musik und ein buntes Lokalkolorit. Beim Abendessen hatte er dann reichlich dem Wein zugesprochen, ohne Maires besorgte Blicke zu bemerken. Er hatte ein Déjà-vu-Erlebnis. Trotz des exotischen Ambientes fühlte er sich an diesem geschäftigen Ort auf Anhieb heimisch; er hatte das Gefühl, hierher zu gehören. Maire hätte nicht nach Hobbs Land gehen dürfen. Sie hätte hierbleiben sollen. In Ahabar, wo das Leben ein einziges Fest war. Trotz der Greueltaten der Voorstoders hätte sie sich sicher nicht von diesem wundervollen Ort vertreiben zu lassen brauchen! Man mußte nur ihre Beweggründe verstehen und sich mit ihrer Geschichte vertraut machen, befand er verständnisvoll, während er sich systematisch betrank.
Sie lehnten sich zurück und sahen, wie der Saal sich allmählich füllte. Festlich gewandete Männer und Frauen gingen durch die Gänge und nahmen ihre Plätze ein. An jeder Tür waren Uniformierte postiert.
Sam beugte sich zum Kommandeur hinüber und fragte ihn nach dem Grund ihrer Anwesenheit.
Der Kommandeur zuckte die Achseln. »Wir halten Ausschau nach bestimmten Leuten. Voorstodern. Ursprünglich hatte ich der Königin geraten, heute abend alle Besucher der Konzerthalle zu überprüfen. Doch sie lehnte mit der Begründung ab, schließlich würde es sich um
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