Monströse Welten 2: Hobbs Land
Zeitpunkt würde ich mich längst in ihrem Gewahrsam befinden, falls sie sich überhaupt etwas dabei gedacht hatten. Statt dessen bin ich Augenzeugin des Anschlags auf Stenta Thilion geworden.«
»Mit der Reaktion von Königin Wilhulmia haben sie wohl auch nicht gerechnet«, sagte Samstag schaudernd. Sie wußte, daß ihr ohnehin schon gefährlicher Plan nun das doppelte Risiko barg. Die Männer von Voorstod würden nun ängstlich, nervös und unberechenbar sein. Sie spürte geradezu ihre Feindseligkeit, wie einen kühlen Nordwind. Sie schloß die Augen und sah in die Höhe gestreckte Armstümpfe, aus denen Blut quoll. Es waren ihre eigenen Arme. Sie sah, wie jemandem die Kehle durchgeschnitten wurde. Dieser Jemand war sie. Sie unterdrückte die aufwallende Panik und fragte Karth: »Wann kommt die Person, die uns führen soll?«
»Ja«, sagte Sam. »Wann kommt sie?«
»Sie ist schon da«, erwiderte Karth. »Schon seit einer ganzen Weile. Ich sagte ihr, sie solle warten, bis Sie mit dem Essen fertig sind.«
»Und wohin bringt sie uns?«
»Sie führt Sie durch Skelp und dann nach Wander. Der Squire von Wander gewährt Ihnen für diese Nacht Unterkunft, und morgen wird er Sie nach Selmouth im County Leward weiterschicken. Weiter haben wir nicht geplant. Dann müssen Sie sich mit den Gläubigen arrangieren beziehungsweise mit den Leuten, die den Jungen gefangenhalten.«
Der Kommandeur durchquerte den Raum, kniete sich vor Samstag hin und ergriff ihre Hände. »Ich kann dir das nicht ausreden? Du gehst ein großes und vermutlich sinnloses Risiko ein, Samstag Wilm. Du könntest hier in Ahabar bleiben und Konzertsängerin werden, und die Männer würden dir zu Füßen liegen.«
Sie rang sich ein Lächeln ab. »Nein, Sir, Sie können mir das nicht ausreden.«
»Sie sagt, es handele sich um eine religiöse Angelegenheit«, sagte Prinz Rals von der anderen Seite des Raums.
Der Kommandeur schaute Maire fragend an, als ob er sich von ihr eine Bestätigung holen wollte. Maire lächelte nur. In gewisser Weise handelte es sich wirklich um eine religiöse Angelegenheit.
»Stimmt das?« fragte der Kommandeur.
»Ja, das stimmt«, sagte Maire und nickte. »Ja. Wenn Sie es unbedingt irgendwo einordnen wollen, Kommandeur, dann unter der Rubrik ›Religiöse Angelegenheiten‹.«
Der Kommandeur zuckte die Achseln; anscheinend hatte diese Antwort ihn zufriedengestellt. Er ging zur Tür und winkte. Eine Frau erschien. Sie war im mittleren Alter; sie hatte graue Schläfen und Falten im Gesicht. »Das ist Ihre Führerin«, sagte Karth.
»Korrekt«, bestätigte sie. »Meinen richtigen Namen werde ich Ihnen nicht sagen. Nennen Sie mich ›Missus‹. Draußen wartet ein Fahrzeug.«
Sam kniete vor seiner Mutter nieder, küßte sie zärtlich auf den Mund und umarmte sie.
»Ach, Sammy«, sagte sie. »Wenn ich nur wüßte, weshalb du überhaupt mitgekommen bist.«
»Um Samstag Gesellschaft zu leisten«, erwiderte er. »Weshalb sonst?« Im Augenblick war das die offizielle Erklärung. Den eigentlichen Grund für die Mission würde er vielleicht später offenbaren: daß er sich nämlich als den wahren Helden betrachtete, der sich berufen fühlte, Frieden zwischen den Völkern zu stiften. Vergangene Nacht hatte Sam wachgelegen und sich nach den Motiven für die Reise nach Voorstod gefragt; er war zu der Erkenntnis gelangt, daß er stur und unversöhnlich war.
»Vielleicht mußt du so sein«, hatte eine Stimme in seinem Kopf gesagt. »Vielleicht mußt du so sein. Vielleicht hat das alles seinen Grund.«
Helden, so sagte er sich, mußten manchmal wohl starrköpfig und unversöhnlich sein und unbeirrbar ihre Ziele verfolgen, selbst wenn es sich bei den Leuten, die sie davon abbringen wollten, um Mütter, Schwestern oder Freunde handelte.
Die beiden, der Mann und das Mädchen, schulterten die Rucksäcke und gingen in die Nacht hinaus. Waffen trugen sie nicht. Wenn man sie in Voorstod mit einer Waffe antraf, so Karth, wären sie schon tot, ehe sie noch wußten, wie ihnen geschah. Zumal keiner von beiden wüßte, wie man mit einer Waffe umging. Schließlich wären sie Farmer und sollten sich auch wie solche verhalten. Zuerst hatte Sam widersprechen wollen; doch dann hatte er es sich anders überlegt und sich scheinbar gefügt.
Unter den stoischen Blicken von hundert Soldaten kletterten sie über die Barrikade. Nachdem sie in Missus’ klapprigem Vehikel Platz genommen hatten, verließen sie die besetzte Zone und fuhren auf der Fernstraße
Weitere Kostenlose Bücher