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Monströse Welten 3: Toleranz

Monströse Welten 3: Toleranz

Titel: Monströse Welten 3: Toleranz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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hatte. Die Hände bewegten sich, das Weberschiffchen huschte hin und her, die Füße bewegten sich, der Webstuhl klackte, und um sie herum klackten viele andere Webstühle. Aus der unteren Etage drang das gedämpfte Klopfen und Murmeln der Frauen, die gequollene hye- Stengel droschen, um die Kernfasern von der verfaulten Hülle zu scheiden. Von den Dächern nebenan ertönte das Schaben und Surren der Spinnräder, wo die Fasern gekämmt und zu Fäden gesponnen wurden. Obwohl die Korbhelme mit gepolsterten Ohrenschützern versehen waren, um die Geräusche so weit wie möglich zu dämpfen, und obwohl die Scheuklappen auf beiden Seiten das Blickfeld auf den Webstuhl vor ihr verengten, erkannte Haifazh im durch die Fenster fallenden Licht, daß es Mittagszeit war. Das Licht fiel auf ganzer Breite durch die Durchbrüche in den Wänden; es gab keinen Schatten. Es war an der Zeit, um auf die Toilette zu gehen, die Babies zu stillen und vielleicht noch ein Schwätzchen zu halten. Zu essen gab es in der Morgen- und Abenddämmerung. Nachts wurde geruht. An diesem Ort wurde auch der letzte Rest des Tageslichts ausgenutzt, um Wiedergutmachung für den Ungehorsam gegenüber dem Eigentümer zu leisten.
    Sie bereitete sich auf den Stock vor, der gleich auf ihren Helm schlagen würde. Die alten Frauen, die die Stöcke schwangen, waren genauso hungrig und müde wie sie. Manchmal wurden sie von Müdigkeit und Hunger überwältigt. Manchmal verwandelten sie die Ankündigung, daß Mittagszeit war, in eine Bestrafung.
    Der Stock schlug auf den Helm, allerdings nicht sehr fest. »Dank dem gnadenreichen Propheten«, murmelte sie und vergaß für den Augenblick, daß sie überhaupt nicht an den gnadenreichen Propheten glaubte. Früher hatte sie an ihn geglaubt oder war zumindest keine Ungläubige gewesen. Aber nicht mehr. Nicht hier. Nicht an diesem Ort.
    Die Kette, die sie mit dem Webstuhl verband, wurde gelöst. Zuerst machte sie sich auf zu den Latrinen, um sich zu erleichtern. Sie war beschnitten worden, als sie mit Shira schwanger war, und hinterher war sie zugenäht worden. Dieser Tortur wurden alle Frauen in Thrasis unterzogen, zuerst als siebenjährige Mädchen und dann wieder, nachdem sie ein Kind gehabt hatten. Das Urinieren war schmerzhaft, jedoch längst nicht - wie sie sich erinnerte – so schlimm, wie Sex gewesen wäre. Als sie zum erstenmal diese Erfahrung gemacht hatte, war sie fünfzehn gewesen; ihr neuer Besitzer hatte vor lauter Ungeduld unterlassen, sie zu knebeln, so daß sie gleich zweimal bestraft worden war: zuerst von seiner brutalen Männlichkeit und dann durch die Peitsche, denn sie hatte geschrien, als er sie bestieg.
    Ringsum hörte sie das Schluchzen und Stöhnen der unter Schmerzen urinierenden Frauen. Sie nahm sich ihre Wasserration aus dem Eimer, und zwar so wenig wie möglich, denn sonst würde sie sich vielleicht nachmittags am Webstuhl in die Hose machen. Dann ging sie zu den Fenstern, wo die Babies warteten. Sie legte Shira an die Brust und spürte, wie der kleine Mund an der Brustwarze saugte. Shira weinte nie, dem Propheten sei Dank (das hatte sie schon wieder vergessen). Weibliche Babies, die weinten, wurden meist geknebelt.
    Die Frau zu ihrer Linken war neu.
    Haifazh beugte sich nach vorn. »Ich bin Haifazh«, stellte sie sich leise und mit gesenktem Blick vor.
    Unterhaltungen während des Stillens waren verboten. Auch sonst waren Gespräche verboten, obwohl sie es nachts taten, auf den an der Wand aufgereihten Pritschen, wenn die Dunkelheit sie umgab und die alten Frauen eingeschlafen waren.
    »Bulerah«, murmelte die Frau neben ihr.
    »Weshalb bist du drin?« fragte sie.
    »Weil ich eine Tochter geboren habe«, antwortete die Frau.
    »Aha.«
    »Und du?«
    »Aus dem gleichen Grund.«
    Es war nicht der gleiche Grund. Sie war nicht hier, weil sie eine Tochter geboren hatte. Haifazhs Besitzer hatte keine Einwände gegen ein Mädchen erhoben. Er hatte schon viele Söhne, und gesunde Mädchen waren eine ergiebige Einnahmequelle, weil sie in den Webereien in großer Zahl gebraucht wurden. Kleine Finger knüpften die kleinsten Knoten und machten die feinsten Stiche, zumal ein Mädchen weniger aß als eine ausgewachsene Frau, und noch viel weniger, wenn man es in der Pubertät auf Diät setzte. Nein, es war nicht das Mädchen, das Haifazhs Besitzer erzürnt hatte, sondern der Umstand, daß Haifazhs Ausfluß nicht so schnell aufgehört hatte, wie ihr Besitzer es erwartet hatte. Sie war zu lang unrein. Das

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