Montana 04 - Vipernbrut
aus, als hätte man die Skulptur herbeigeschleift«, sagte Pescoli und deutete auf eine Furche im Schnee, die sich vom Parkplatz bis zur Krippe zog. Hoffentlich würden sie einen Stiefel-oder Schuhabdruck finden, vielleicht auch Reifenspuren, doch bislang hatten sie kein Glück gehabt.
Alvarez richtete den Strahl ihrer Taschenlampe auf die Vertiefung, die, genau wie die Eisskulptur, mit etwa drei Zentimetern Neuschnee bedeckt war, dann sagte sie kopfschüttelnd: »Ich versteh’s nicht.«
»Ich glaube, das versteht keiner.«
»Was sagt der Prediger?«
»Schafft dieses blasphemische Werk fort! Was für ein Schlag ins Gesicht der Kirche! Die anständigen Bürger von Grizzly Falls sollten etwas so Abscheuliches gar nicht erst zu Gesicht bekommen! Ausgerechnet hier, in einem Gotteshaus - zumindest direkt daneben!«
»Zitierst du ihn gerade?«
»Nicht direkt, aber das trifft das, was er gesagt hat. Er ist nicht gerade glücklich über das Ganze.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
Pescoli blickte von der grauenvollen Eisskulptur zu Mullins’ besorgtem Gesicht und sagte leise: »Ich denke, da steckt mehr dahinter.«
»Zum Beispiel?«
»Keine Ahnung.« Sie kniff die Augen zusammen. »Doch genau das werde ich herausfinden.«
Gemeinsam gingen sie zu Mullins hinüber, um ihn zu befragen. Er war wütend, außer sich, und schimpfte über diese derartige Unverfrorenheit, während seine Frau Lorraine zutiefst schockiert wirkte, als sie auf den Bänken im Kirchenvestibül Platz nahmen. Obwohl es hier drinnen wärmer war als draußen, war es immer noch kalt. Mullins beruhigte sich ein wenig, als er erklärte, er sei um kurz vor vier wach geworden und habe Probleme gehabt, wieder einzuschlafen, deshalb habe er beschlossen, sein frühmorgendliches Training ein wenig vorzuziehen und gleichzeitig an seiner Predigt zu feilen. Auf dem Weg zu seinem Büro in der Kirche habe er den Leichnam entdeckt, so gegen kurz nach vier.
Jetzt war es nach sieben und noch immer stockfinster, wie Pescoli feststellte, als sie einen Blick durch eines’ der Kirchenfenster nach draußen warf.
Weder der Prediger noch seine Frau konnten sich vorstellen, wer zu einer so grauenvollen Tat fähig wäre; soweit sie wüssten, sei keines der Gemeindemitglieder wegen irgendetwas erzürnt, Feinde habe die Kirche auch nicht.
Sie wirkten aufrichtig, trotzdem entging Pescoli nicht, dass die Frau den Kopf gesenkt hielt und Schwierigkeiten hatte, ihr in die Augen zu blicken. Konnte es sein, dass der Prediger seine Frau einschüchterte?
»Sie sollten die arme Frau besser rasch fortbringen«, sagte Mullins, und es klang eher wie ein Befehl denn wie eine Bitte.
»Sobald der Abtransport geregelt ist.« Sie wollten den Eisklotz in einem Stück wegschaffen, damit kein Beweismaterial verlorenging, das womöglich in dem gefrorenen Wasser eingeschlossen war. Es durfte auf keinen Fall vorzeitig schmelzen.
»Das ist grotesk«, meldete sich endlich Lorraine zu Wort. Sie saß neben ihrem Mann, dick eingemummelt in Daunenjacke, Handschuhe, Schneehose und Stiefel. »Wer tut so etwas? Und warum?«, fragte sie schaudernd.
»Genau das versuchen wir herauszufinden. Was können Sie uns dazu sagen?« Alvarez lächelte sie aufmunternd an.
»Ich habe nichts gehört. Ich war die ganze Nacht im Bett. Wir sind gegen zweiundzwanzig Uhr schlafen gegangen, direkt nach dem Nachtgebet. Zuvor habe ich noch einmal aus dem Schlafzimmerfenster gesehen, aber mir ist nichts Außergewöhnliches aufgefallen.« Sie sah ihren Mann bestätigungsheischend an.
»Es muss Viertel nach zehn, halb elf gewesen sein. Ich habe noch etwas gelesen. Als ich das Licht ausknipste, zeigte der Wecker zweiundzwanzig Uhr fünfzig.«
»Ich habe die Krippe betrachtet«, fuhr Lorraine fort. »Sie ist unser ganzer Stolz. Calvin hat fast alles selbst gemacht. Ich bin mir sicher, alles war wie immer. Natürlich, es hat geschneit, aber die Krippe wird von Scheinwerfern beleuchtet, da hätte ich eine zusätzliche Figur bestimmt bemerkt.« Sie räusperte sich.
»Und nachdem Sie aus dem Fenster geschaut haben, sind Sie direkt ins Bett gegangen und eingeschlafen?«
»Ich habe drei Töchter«, erwiderte Lorraine, als würde das etwas erklären.
»Und sie ist wieder schwanger«, verkündete ihr Mann stolz. Vielleicht erklärte das tatsächlich die dunklen Ringe unter Lorraines Augen, doch Pescoli war nicht ganz überzeugt. Irgendetwas war faul im Vestibül dieser alten Kirche mit seinem gedämpften Licht.
»Ich bin
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