Montana 04 - Vipernbrut
eingeschlafen, sobald ich die Nachttischlampe aus-geknipst hatte«, ergänzte der Prediger, dann versicherten beide noch einmal, nichts gehört zu haben.
»Einmal bin ich aufgestanden und ins Badezimmer gegangen«, fiel Lorraine plötzlich ein. »Ich weiß nicht, wie spät es da war, aber ich habe weder etwas gehört noch habe ich aus dem Fenster geblickt.« Sie legte ihre glatte Stirn in Falten und blickte Pescoli fragend an: »Wer ist die Frau - das Opfer?«
»Bislang konnten wir sie noch nicht identifizieren«, sagte Pescoli, »aber wir gehen davon aus, dass es sich um eine der drei in letzter Zeit verschwundenen Frauen handelt, möglicherweise um Lara Sue Gilfry. Kennen Sie sie?«
»Gilfry? Nein.« Lorraine schüttelte langsam den Kopf, ihr Ehemann ebenfalls.
»Nein«, sagte er mit Bestimmtheit, fasste die behandschuhte Hand seiner Frau und verschränkte seine Finger mit ihren. »Den Namen habe ich noch nie gehört.«
»Sie hat im Bull and Bear gearbeitet, einem Bed & Breakfast in der Innenstadt.«
»Nie gehört«, sagte Lorraine und starrte zu Boden, wo sie offenbar eine Spinne beobachtete, die unter eine Bank huschte.
»Nein. Ich bin mir sicher, dass ich ihr nie begegnet bin.«
Der Prediger zog sich mit der freien Hand die Mütze vom Kopf. Seine spülwasserfarbenen Haare standen wirr in die Höhe. Abwesend fuhr er mit den Fingern hindurch, um sie zu glätten.
»Dann war sie also kein Mitglied Ihrer Gemeinde?«, stellte Alvarez fest.
Mullins und seine Frau schüttelten die Köpfe. »Nein.«
»Wir haben noch nicht Gilfrys nächste Angehörige benachrichtigt, weshalb wir Sie bitten müssen, diese Information für sich zu behalten«, warnte Pescoli.
»Selbstverständlich«, erwiderte Lorraine, dann fuhr sie zögernd fort: » Brenda Sutherland … sie gehört zu unserer Gemeinde.« Sie hob den Kopf und blinzelte. Ihre Lippen waren zu einem schmalen Strich verzogen, die Sehnen an ihrem Hals traten hervor, und es hatte den Anschein, als müsse sie sich alle Mühe geben, nicht zusammenzubrechen. »Könnte ihr …. « Sie machte eine fahrige Handbewegung und räusperte sich. »Könnte ihr das Gleiche zugestoßen sein?«
»Ach, Liebling, nun zäum das Pferd mal nicht von hinten auf«, schaltete sich ihr Mann ein und drückte ihre Hand.» Wir wissen doch gar nicht, ob Brenda überhaupt etwas zugestoßen ist. Es kann durchaus sein, dass alles in Ordnung ist.«
»Nein. „ nein, das ist es nicht!« Lorraine versuchte, die Tränen zurückzuhalten, die ihr in die Augen gestiegen waren. Mit trotzig vorgerecktem Kinn funkelte sie ihren Mann an. »Sie hätte ihre Jungs niemals allein gelassen! Das weißt du ganz genau!«
Der Prediger nickte kaum merklich und lockerte seine Finger. »Das ist richtig«, räumte er ein. » Brenda Sutherland ist eine hingebungsvolle Mutter.«
»Äußerst hingebungsvoll.« Lorraine, bleich wie ein Geist, begegnete Pescolis Blick. »Sie müssen sie finden. Unbedingt!«
»Und den Verrückten, der so etwas tut«, bekräftigte Mullins. »Ich sage Ihnen, dahinter steckt Luzifer höchstpersönlich. Wer immer diese Frau zur Eisskulptur gemacht hat, ist ein Handlanger des Satans!«
Es war ein guter Morgen.
Die Sonne schien und brachte die weiße Pracht zum Funkeln; eine leichte Brise wirbelte den pulvrigen Neuschnee auf. Er stapfte zum Postkasten, um die Zeitung zu holen, dann kehrte er zum Haus zurück und blätterte durch die wenigen Seiten. Natürlich stand noch nichts über sein Kunstwerk drin. Die Zeitung war schon im Druck gewesen, als man seine Skulptur entdeckt hatte. Er war auch da gewesen, hatte sich unter die Schaulustigen hinter dem Absperrband gemischt. Er wusste, dass die Polizei möglicherweise ein Foto von ihm gemacht hatte, und es bestand durchaus die Chance, dass er auf dem Material auftauchte, das das Nachrichtenteam gefilmt hatte, doch er bezweifelte es. Niemand würde die Gründe für seine Anwesenheit in Frage stellen, sollte sich tatsächlich jemand danach erkundigen.
Er hatte jeden Kontakt mit der Polizei vermieden, als er da in der Menge stand und auf die Krippe starrte, wo sich die Cops die Köpfe darüber zerbrochen hatten, wie sie die perfekte Eisstatue fortschaffen könnten. Dabei wäre es ganz einfach gewesen, eine simple Winde und ein Pick-up oder Van hätten genügt … Aber nein, was sie für einen Wirbel veranstaltet hatten, die uniformierten Beamten, Detectives, Kriminaltechniker …
Idioten!
Es war wundervoll gewesen, sie derart verwirrt zu sehen.
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