Montgomery & Stapleton 05 - Das Labor des Teufels
körperlicher Anstrengung und dieser Bandbreite an überwältigenden Gefühlen erlebt.
Erst mit geschlossenen Augen war er in der Lage, darüber nachzudenken, welchem brutalen Verbrechen Laurie beinahe zum Opfer gefallen wäre. Dank der sich überstürzenden Ereignisse hatte er vorher dazu noch keine Gelegenheit gehabt. Vor seinem geistigen Auge sah er die Krankenschwester mit dem dunklen Teint in Lauries Zimmer, als er hereingestürmt war. Im schummrigen Licht hatte sie ziemlich hager gewirkt, aber ihm waren ihr dunkles, kurz geschorenes Haar, ihre tief liegenden Augen und die überraschend weißen Zähne aufgefallen. Am deutlichsten erinnerte er sich jedoch an das Kissen in der einen und die große Spritze in der anderen Hand. Er wusste, dass es viele Erklärungen dafür geben konnte, dass sie diese Dinge in den Händen gehalten hatte, genauso wie sich ihre plötzliche Lähmung angesichts des lebensbedrohlichen Notfalls erklären ließe. Während seiner Assistenzzeit hatte Jack schon andere gesehen, die bei einem Herzstillstand selbst wie erstarrt zugeschaut hatten. Ihm war es ja beim ersten Mal auch nicht besser ergangen. Doch unter den gegebenen Umständen konnte Jack gar nicht anders, als das Verhalten dieser Krankenschwester für verdächtig zu halten.
Während der nervenaufreibenden Wiederbelebung hatte er sie noch ein paar Mal gesehen, aber immer nur kurz, wenn sie hinter der Schwesternstation in die Medikamentenausgabe gegangen war.
An den Wiederbelebungsversuchen hatte sie sich nicht beteiligt. Nachdem Jack eine der anderen Pflegekräfte nach dem Namen der Schwester gefragt hatte, hatte er noch mehr Verdacht geschöpft – ihr Name stand auf Rogers Liste.
Jack riss die Augen auf und kramte in seiner Manteltasche nach dem Telefon. Er kannte die Privatnummer von Lou Soldano in SoHo, und obwohl es noch so früh war, rief er ihn an. Nach dem, was Jack erlebt hatte, musste Lou verständigt werden. Es gab keine Entschuldigungen mehr. Das Telefon klingelte sechsmal, bevor Lou abhob. Seine Stimme klang rau, und Jack musste warten, bis sein Hustenanfall abgeklungen war.
»Und, lebst du noch?«, fragte Jack, als es am anderen Ende schließlich still war.
»Lass deine Witze«, brummte Lou. »Ich hoffe für dich, dass der Anruf wichtig ist.«
»Er ist mehr als wichtig«, begann Jack. »Laurie musste heute Nacht im Manhattan General notoperiert werden. Dann hat sie jemand vor ein paar Stunden an den Rand des Jenseits gestellt und ihr einen kräftigen Schubs verpasst. Sie war so nah am Tod, wie man nur sein kann. Eigentlich war sie sogar für ein paar Sekunden oder vielleicht auch Minuten tot.«
»Mein Gott!«, platzte Lou los, was aber wieder zu einem Hustenanfall führte.
»Hustest du morgens immer so?«, fragte Jack, als Lou wieder in der Leitung war.
»Wo ist sie jetzt?«, erkundigte sich Lou, ohne auf Jacks Frage einzugehen.
»In der Kardiologie auf dem zweiten Stock. Ich sitze im Wartezimmer gleich gegenüber.«
»Besteht noch Gefahr?«
»Medizinisch oder anders?«
»Beides.«
»Medizinisch gesehen, glaube ich, dass sie hier die Sache ziemlich gut in der Hand haben. Sie hatte Glück, weil sich eine besonders zähe Kardiologin um sie gekümmert hat, die wie ein Teenager aussieht. Sie ist die zweite Person, die mich heute ziemlich alt hat aussehen lassen. Was die Person angeht, die versucht hat, Laurie zu töten, glaube ich nicht, dass sie es hier noch einmal versucht. Nicht in der Kardiologie – es sind zu viele Menschen hier, und ich sitze vor der einzigen Tür.«
»Hast du eine Ahnung, wer das getan hat?«
»Es gibt da jemanden, eine Krankenschwester, auf die würde ich mein Geld verwetten, aber ich habe nur Indizien. Die Einzelheiten erzähle ich dir, wenn du hier bist. Wir haben auch Rogers Liste, sodass du damit keine Arbeit mehr hast. Aber jetzt kann niemand mehr behaupten, Lauries Theorie von einem Serienmörder sei nicht haltbar – schließlich wurde sie selbst fast ein Opfer.«
»Weißt du, wie diese Krankenschwester heißt?«
»Rakoczi.«
»Was für ein Name ist das?«
»Keine Ahnung.«
»Weiß diese Rakoczi, dass du sie verdächtigst?«
»Kann ich mir gut vorstellen«, meinte Jack. »Sie hat sich während der Wiederbelebung von mir fern gehalten. Sie war in Lauries Zimmer, als ich reingekommen bin und Laurie fast tot vorgefunden habe.« Jack beschrieb kurz die Situation, so weit er sich erinnerte.
»Nun, dann ist sie die erste Person, mit der ich mich unterhalten werde«,
Weitere Kostenlose Bücher