Montgomery & Stapleton 05 - Das Labor des Teufels
jemand.
Jazz drehte sich um. Eine dieser dickärschigen Frauen saß auf der Bank vor ihrem Spind und drehte ihr Handtuch zu einer Wurst zusammen. Jazz rang mit sich, ob sie die Frau einfach nicht beachten sollte oder doch. Normalerweise kümmerte sie sich nicht um das Geschwätz im Umkleideraum, sondern verschwand gleich in die Dusche. Doch solche Klischeefragen verlangten einfach eine Antwort.
»Nein, ich bin Neurochirurgin«, sagte sie und zog sich ihren zu großen, olivgrünen Militärmantel an. Die Taschen dieses Mantels waren so tief wie Goldminen, und der Inhalt schlug gegen ihre Schenkel, besonders gegen ihren rechten.
»Neurochirurgin!«, wiederholte die Frau ungläubig. »Ehrlich?«
»Ehrlich«, wiederholte Jazz in einem Ton, der kein weiteres Gespräch zuließ. Sie steckte ihren verschwitzten Sportanzug in ihre Tasche, zog den Reißverschluss zu und verschloss den Spind. Obwohl sie die Frau, die sie angesprochen hatte, nicht ansah, spürte sie deren Blick auf sich. Jazz war es egal, ob die Frau ihr glaubte oder nicht. Das spielte keine Rolle.
Ohne ein weiteres Wort stolzierte Jazz hinaus in den Hauptflur. Dort drückte sie den Knopf für den Fahrstuhl und schob die Hand in die rechte Tasche ihres Mantels, wo ihr Lieblingsstück steckte, die Subkompaktversion einer Neunmillimeter-Glock. Der aus Verbundstoff gegossene Griff gab ihr das beruhigende Gefühl von Macht und weckte gleichzeitig Fantasien in ihr, in denen sie in der Garage von zwielichtigen Typen wie Mr Eliteuni angepöbelt wurde. Es würde alles so schnell gehen – der Kopf des Typen würde herumwirbeln, er würde eine alberne Bemerkung machen und im nächsten Moment in den Lauf des Schalldämpfers blicken. Jazz hatte sich die Mühe gemacht, ihre Waffe mit einem solchen Schalldämpfer auszurüsten, weil eine andere, immer wiederkehrende Fantasie die war, eine der leitenden Stationsschwestern umzulegen.
Jazz seufzte. Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich mit inkompetenten Vorgesetzten rumplagen müssen. Angefangen hatte es damit schon in der Highschool. Sie erinnerte sich, als wäre es gestern gewesen, wie sie ins Büro des Studienberaters gerufen worden war. Der Trottel hatte gemeint, er wundere sich, weil sie im Intelligenztest so gut abgeschnitten habe, jetzt aber so schwache Leistungen bringe. Wo der Grund liege, hatte er sie gefragt.
»Puh!«, machte Jazz, als sie sich an den Vorfall erinnerte. Der Typ war so langsam im Kopf, dass er nicht verstehen konnte, dass neun Zehntel aller Lehrer mit derselben schwachen Erbmasse ausgestattet waren wie er. Die Highschool war Zeitverschwendung gewesen. Er hatte sie gewarnt, sie könne nicht aufs College gehen, wenn sie so weitermache. Nun, das war ihr egal. Sie hatte gewusst, dass die einzige Möglichkeit, der Jauchegrube ihres Lebens zu entfliehen, das Militär war.
Doch beim Militär hatte sie vor den gleichen Problemen gestanden. Anfangs war es noch erträglich gewesen, da sie viel nachholen musste, um sich in Form zu bringen. Die Eignungstests hatten ergeben, dass sie in den Krankenpflegedienst wechseln sollte, was ein Witz war, weil sie bei diesen dummen Tests immer geschummelt hatte. Doch sie hatte mitgespielt. Als Sanitäterin zu arbeiten, hörte sich gut an, besonders die Aussicht, selbstverantwortlich handeln zu können. Schließlich hatte sie sich für den Sanitätsdienst bei den Marines entschieden. Doch gleich nach ihrer Aufnahme war es nur noch bergab gegangen. Einige der Offiziere, mit denen sie zu tun gehabt hatte, waren Schwachköpfe gewesen, besonders damals in Kuwait, als 1991 ihr Bataillon gegen die irakische Invasion eingesetzt worden war. Ihr hatte es Spaß gemacht, Iraker zu erschießen, bis ihr Vorgesetzter ihr das Gewehr aus der Hand genommen hatte, als hätte sie nicht das Recht, sich zu vergnügen. Er sagte, sie habe sich um die Gesundheit der echten Männer zu kümmern. Gott, wie peinlich!
Ein Jahr später hatte sich die Sache in San Diego noch zugespitzt. Irgendein dämlicher Offizier war in die Bar gekommen, wo sie und andere Rekruten ein paar Bier kippten. Er hatte sich besoffen und angefangen zu fummeln, als sie sich gerade umgedreht hatte. Als ob das nicht schon gereicht hätte, hatte er sie eine »verdammte Lesbe« genannt, weil sie sein Angebot abgelehnt hatte, an die Spitze von Point Loma rauszufahren und mit ihm eine Nummer zu schieben. Das war der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte, und Jazz hatte ihm mit ihrer Pistole ins Bein geschossen.
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