Montgomery & Stapleton 07 - Die Seuche Gottes
unter die Dusche und schminkte sich sparsam, wie immer. Währenddessen ließ sie den gestrigen Abend noch einmal Revue passieren. Zuerst waren sie beide ziemlich wütend aufeinander gewesen. Doch das hatte sich schnell wieder gelegt, und sie hatten sich ein weiteres Mal darauf geeinigt, dass sie sich nicht einig waren. Laurie hatte zwar gesagt, dass sie mit der eigentlichen Operation wirklich nicht das Geringste zu tun haben und ihn auch am Morgen nicht in die Klinik begleiten wollte, hatte ihm aber versprochen, ihn am Nachmittag auf jeden Fall zu besuchen, um ihn bei den anschließenden Reha-Maßnahmen voll und ganz zu unterstützen. Dr. Anderson hatte ihn schon vorgewarnt, dass seine Mobilität nach der Operation stark eingeschränkt sei, da er gleich nach der Operation und noch vor dem Aufwachen an ein Gerät angeschnallt werde, das sein Knie permanent beugte und streckte, und zwar mindestens vierundzwanzig Stunden lang.
Laurie zog sich hastig an. Während sie in der Küche ein paar schnelle Bissen verschlang, schrieb sie Jack einen Zettel, auf dem stand, dass und wieso sie schon früh zur Arbeit gegangen war. Außerdem bat sie ihn, Dr. Anderson zu bitten, sie im Anschluss an den Eingriff bei der Arbeit anzurufen. Dann schrieb sie unter den Zettel, dass sie ihn liebte und dass sie ihn gegen Mittag besuchen käme.
Sie wusste nicht genau, wo sie den Zettel hinlegen sollte, damit er ihn auch wirklich nicht übersehen konnte, holte das Klebeband aus der Küche und betrat vom Flur her noch einmal das Badezimmer. Genau für solche Situationen, wenn einer vor dem anderen aufstehen musste, hatten sie das Badezimmer mit zwei Türen versehen, sodass man es vom Schlafzimmer wie auch vom Flur her betreten konnte. Mit einem Klebestreifen befestigte sie den Zettel in der Mitte des Spiegels, sodass er auf keinen Fall behaupten konnte, er hätte ihn nicht gesehen.
Laurie nahm ihren Mantel, die Schlüssel, den Karton mit den Objektträgern und ihre Handtasche, machte die Wohnungstür auf und wollte sie gerade hinter sich zuziehen, als ihr einfiel, dass ihr Handy noch im Ladegerät auf dem Nachttischchen steckte. Sie überlegte kurz, ob sie riskieren sollte, dass Jack aufwachte. Doch weil sie wollte, dass Jack so viel Schlaf wie nur möglich bekam, und weil sie das Handy heute ohnehin kaum brauchen würde, da sie die erste Hälfte des Tages an ihrem Schreibtisch im Gerichtsmedizinischen Institut und die zweite in Jacks Krankenzimmer verbringen würde, beschloss sie, darauf zu verzichten.
Draußen war es immer noch dunkel. Am östlichen Himmel war höchstens eine leise Andeutung der Morgenröte zu erkennen, und die Straßen waren vollkommen leer gefegt. Wahrscheinlich wäre es schlauer gewesen, telefonisch ein Taxi zu bestellen, dachte Laurie und blieb zögernd auf der Eingangstreppe stehen. Doch da sie jetzt schon unten war, wollte sie nicht noch einmal hochgehen und lief zur Columbus Avenue. Nach ihrer Erfahrung bekam man dort sehr viel eher ein Taxi als am Central Park West, wie zum Beweis hielt eines neben ihr an, kaum dass sie den Arm ausgestreckt hatte.
Während das Taxi durch die beinahe leeren Straßen zischte, gestand Laurie sich ein, dass der 5. April 2007 kein Tag würde, den sie noch einmal erleben wollte. Noch nie hatte sie eine solch beklemmende, ängstliche Erregung empfunden wie jetzt. Sie machte sich in Form von Magenbeschwerden als Reaktion auf ihr klägliches Frühstück bemerkbar, die wiederum durch das Ruckeln und Schaukeln des Taxis noch zusätzlich verstärkt wurden. Einmal fürchtete sie schon, sie müsste sich übergeben, doch dann ging es wieder. Sie war sehr erleichtert, als das Taxi endlich vor der Gerichtsmedizin zum Stehen kam. Laurie dirigierte den Fahrer seitlich am Gebäude vorbei bis zur Schleuse für die Leichenwagen. Im Flur angelangt, begrüßte sie den Nachtwächter, der in seinem kleinen Kabuff am Schreibtisch saß. Mr Novak sprang von ihrem Anblick überrascht auf, streckte den Kopf zur Luke heraus und rief Laurie, die schon bei den hinteren Fahrstühlen stand, nach: »Guten Morgen, Frau Dr. Montgomery. Was führt Sie denn schon so früh hierher?«
»Bloß ein bisschen viel Arbeit«, log sie. Dann winkte sie ihm zu und stieg in den Fahrstuhl.
Im ersten Stock stieg sie aus, genau wie am gestrigen Abend, und besorgte sich eine Tasse Automatenkaffee. Seltsamerweise hatte Kaffee eine beruhigende Wirkung auf ihren Magen. Früher zumindest.
Sie schaltete die Deckenbeleuchtung in ihrem Büro
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