Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
sind die Kosten«, erwiderte der Mann. »Eine Operation, die hier in Atlanta 80.000 Dollar kosten würde, kostet dort vielleicht nur 20.000, und dann bekommen die Patienten zusätzlich auch noch einen Urlaub in einer indischen Fünf-Sterne-Ferienanlage spendiert.«
»Wow!«, meinte die Frau. »Aber wie steht es um die Sicherheit?«
»Das ist die entscheidende Frage, das sehe ich ganz genauso«, pflichtete der Mann ihr bei, »und genau darum ist die Meldung, die wir soeben bekommen haben, so interessant. Die indischen Behörden haben diesen medizinischen Tourismus mit Wirtschaftshilfen massiv gefördert und in den letzten Jahren immer wieder behauptet, dass die Ergebnisse zumindest gleich gut, wenn nicht sogar besser seien als an jedem westlichen Standort. Das hänge damit zusammen, dass die Operateure allesamt eine staatliche Prüfung abgelegt haben und dass die Ausstattung und die Krankenhäuser allesamt nagelneu und hochmodern seien. Zum Teil besitzen sie sogar eine Zulassung der ›Joint Commission International‹, einer international tätigen Patientenschutzorganisation. Allerdings sind in medizinischen Fachzeitschriften bisher noch nicht allzu viele Daten und Statistiken veröffentlicht worden, die eine solche Behauptung stützen könnten. Vor wenigen Augenblicken nun hat CNN aus einer zuverlässigen Quelle erfahren, dass eine 64 Jahre alte Amerikanerin namens Maria Hernandez aus Queens, New York, rund zwölf Stunden nach einer relativ unkomplizierten Hüftoperation, um 19.45 Uhr Ortszeit im Queen Victoria Hospital in Neu-Delhi, Indien, unerwartet verstorben ist. Außerdem, und das ist das eigentlich Interessante daran, behauptet die Quelle, dass dieser tragische Tod einer eigentlich kerngesunden Vierundsechzigjährigen lediglich die Spitze des Eisberges sei.«
»Hochinteressant«, schaltete sich die Frau ein. »Ich gehe davon aus, dass wir noch öfter entsprechende Berichte hören werden.«
»Das nehme ich auch an«, stimmte der Mann zu.
»Dann wenden wir uns jetzt dem unausweichlich näher kommenden Präsidentschaftswahlkampf des Jahres 2008 zu.«
Benommen ließ Jennifer sich an die Stuhllehne sinken. In Gedanken wiederholte sie noch einmal den Namen der Frau: Maria Hernandez aus Queens, New York. Jennifers Großmutter väterlicherseits, der wichtigste Mensch in ihrem Leben, hieß Maria Hernandez und – was noch beunruhigender war – wohnte in Queens. Noch mehr Anlass zur Sorge bot die Tatsache, dass ihre Hüftprobleme in den letzten Jahren immer schlimmer geworden waren. Erst vor einem Monat hatte sie Jennifer gefragt, ob sie sich vielleicht operieren lassen sollte. Jennifer hatte geantwortet, dass nur Maria eine solche Entscheidung treffen könne. In diesem Krankheitsstadium ging es nur noch um die Frage, wie groß die Schmerzen waren und wie sehr die Patientin sich durch ihr Leiden beeinträchtigt fühlte.
»Aber Indien?« Jennifer schüttelte den Kopf. Ihre Großmutter sollte nach Indien gereist sein, ohne vorher mit ihr darüber zu sprechen? Das kam ihr sehr unwahrscheinlich vor, und so war sie zuversichtlich, dass die Meldung sich auf eine andere Maria Hernandez bezog, die zufälligerweise ebenfalls in Queens wohnte. Maria war nicht nur Jennifers Großmutter, sondern auch ihre Ersatzmutter, und die beiden hatten ein sehr enges Verhältnis. Jennifers leibliche Mutter war bei einem tragischen Verkehrsunfall auf der Upper East Side in Manhattan ums Leben gekommen. Der Fahrer hatte Fahrerflucht begangen. Fast noch am selben Tag waren Jennifer, ihre beiden älteren Brüder Ramòn und Diego sowie ihr nichtsnutziger Vater Juan in Marias winzige Zwei-Zimmer-Reihenhauswohnung in Woodside, Queens, eingezogen. Marias Mann hatte sie schon vor einiger Zeit verlassen.
Jennifer war als letztes Kind dort wieder ausgezogen, erst mit dem Beginn ihres Medizinstudiums. Für sie war Maria eine Heilige. Nicht genug damit, dass sie Jennifers ganze Familie bei sich aufgenommen hatte, sie hatte sie auch finanziell unterstützt und mit allem Nötigen versorgt, indem sie von früh bis spät als Kindermädchen und Haushälterin geschuftet hatte. Auch Jennifer und ihre Brüder hatten, sobald sie alt genug gewesen waren, nach der Schule gearbeitet, aber den Löwenanteil hatte immer Maria beigesteuert.
Juan hingegen war, so lange Jennifer zurückdenken konnte, noch nie arbeiten gegangen. Angeblich war er aufgrund einer alten Rückenverletzung aus der Zeit vor Jennifers Geburt arbeitsunfähig. Jennifers Mutter, Mariana, war
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