Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
etwas gegessen und wurde bereits mobilisiert. Die Ärzte sind sehr zufrieden mit dem Verlauf.«
»Das ist ja wunderbar«, erwiderte Jennifer. »Gibt es vielleicht jemanden bei Ihnen im Krankenhaus, der für ihre Betreuung zuständig ist?«
»Natürlich! Alle unsere ausländischen Patienten bekommen einen einheimischen Patientenbetreuer. Für Ihre Großmutter ist Kashmira Varini zuständig.«
»Kann ich ihr eine Nachricht hinterlassen?«
»Ja. Soll ich es aufschreiben oder möchten Sie ihr auf die Mailbox sprechen? Ich kann Sie verbinden.«
»Mailbox wäre schön«, sagte Jennifer. Sie war beeindruckt. Dieser kurze, direkte Kontakt mit einem indischen Krankenhaus ließ vermuten, dass es dort recht zivilisiert zuging. Auf jeden Fall war es mit zeitgemäßen Kommunikationstechnologien ausgestattet.
Im Anschluss an Kashmira Varinis freundliche Ansage sprach Jennifer ihren Namen, ihr Verwandtschaftsverhältnis zu Maria Hernandez sowie die Bitte auf die Mailbox, über die Fortschritte ihrer Granny auf dem Laufenden gehalten oder aber zumindest informiert zu werden, falls irgendwelche Probleme oder Komplikationen auftreten sollten. Bevor sie auflegte, gab sie noch langsam und deutlich ihre Handynummer durch. Sie wollte nicht, dass es zu irgendwelchen Verwechslungen kam. Jennifer wusste, dass sie einen starken New Yorker Akzent besaß.
Sie klappte das Telefon zu und wollte es gerade wieder im Schrank verstauen, da hielt sie inne. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine andere Maria Hernandez aus Queens praktisch zur selben Zeit und im selben indischen Krankenhaus wie ihre Großmutter operieren ließ, war ziemlich gering. Eigentlich kam es ihr sogar praktisch unmöglich vor, und sie überlegte kurz, ob sie bei CNN anrufen und denen ordentlich die Meinung sagen sollte. Jennifer war eine Aktivistin, keine Zauderin. Sie hatte keine Hemmungen, ihre Meinung zu äußern, und hatte auch das Gefühl, als hätte CNN jetzt eine ordentliche Abreibung verdient, weil sie den Wahrheitsgehalt dieser Meldung vor der Sendung nicht sorgfältig genug überprüft hatten. Doch dann gewann die Vernunft so langsam die Oberhand über ihre Emotionen. Wen sollte sie bei CNN überhaupt anrufen, und wie standen die Chancen, dass dieses Telefonat auch nur halbwegs befriedigend verlaufen würde? Außerdem warf sie jetzt einen schnellen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war schon nach acht, und ein Schauder der Angst jagte ihr wie ein Stromschlag über den Rücken. Heute war der erste Tag ihres Chirurgie-Wahlpflichtkurses, und sie kam zu spät, trotz all ihrer Bemühungen.
Jennifer knallte ihre Schranktür zu und rannte zur Tür. Dabei stellte sie das Handy auf Vibrationsalarm und ließ es zusammen mit der Sicherheitsnadel und dem Schlüssel in ihre Hosentasche gleiten. Sie ärgerte sich. Zu spät zu kommen war alles andere als ein guter Kursbeginn, schon gar nicht bei einem zwanghaft ehrgeizigen Chirurgen, und nach ihren Erfahrungen im dritten Studienjahr waren sie alle zwanghaft ehrgeizig.
Kapitel 2
Montag, 15. Oktober 2007
11.05 Uhr
New York, USA
(Als Jennifer gerade von ihrem neuen Kursleiter für ihr Zuspätkommen gerüffelt wird)
K annst du sie sehen?«, erkundigte sich Frau Dr. Shirley Schoener, eine Gynäkologin, die sich auf Fruchtbarkeitsbehandlungen spezialisiert hatte. Sie hatte es sich zwar niemals eingestanden, aber im Grunde genommen war sie Ärztin geworden, um sich auf eine sozusagen abergläubische Weise mit ihrer eigenen Angst vor Krankheiten auseinanderzusetzen. Spezialistin für Fruchtbarkeitsbehandlungen war sie geworden, weil sie selbst befürchtet hatte, unfruchtbar zu sein. Und sie hatte mit dieser Methode in beiderlei Hinsicht Erfolg gehabt. Sie war kerngesund und hatte zwei wunderbare Kinder. Außerdem besaß sie eine gut gehende Praxis, da ihre Schwangerschaftsstatistiken ihr eine ausgesprochen erfolgreiche Tätigkeit bescheinigten.
»Ich glaube schon«, antwortete Dr. Laurie Montgomery. Laurie war Gerichtsmedizinerin und im Office of the Chief Medical Examiner, abgekürzt OCME, dem Gerichtsmedizinischen Institut der Stadt New York, tätig. Mit ihren dreiundvierzig Jahren war sie genauso alt wie Dr. Schoener. Sie hatten zusammen studiert, waren sogar befreundet gewesen und hatten dieselben Kurse belegt. Allerdings hatte Shirley schon mit dreißig, gleich nach dem Abschluss ihrer Facharztausbildung, geheiratet und bald darauf Kinder bekommen, eins nach dem anderen. Laurie war erst seit zwei Jahren
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