Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
der wichtigsten Merkmale Indiens: der beeindruckenden Bevölkerungsdichte. Das Flughafengebäude war rappelvoll. Schon die Bereiche, die den Fluggästen vorbehalten waren, waren sehr voll gewesen, weil zahlreiche internationale Flüge beinahe gleichzeitig gelandet waren, aber das war nichts im Vergleich mit dem Rest des Terminals. Jenseits der Schleuse befand sich eine zehn Meter breite und über fünfundzwanzig Meter lange, sanft nach oben führende Rampe mit einem Metallgeländer. Wie Sardinen wurden die wartenden Menschen dort aneinander- und gegen das Geländer gequetscht. Die meisten hielten irgendwelche selbst gemalten Schilder in die Höhe. Etwa die Hälfte trug westliche Kleidung und viele davon fantasievolle Uniformen mit Schildmützen, auf denen Hotelwappen zu erkennen waren.
Jennifer war sprachlos. Ruckartig blieb sie stehen. Da man ihr gesagt hatte, sie würde von einem Angestellten des Amal Palace Hotel in Empfang genommen, der ein Schild mit ihrem Namen in der Hand hielt, hatte sie sich darüber keine Gedanken mehr gemacht. Das, so viel war klar, war keine kluge Entscheidung gewesen. Es schien Tausende von Schildern und noch mehr Menschen zu geben.
Jennifer stand nur ungern im Mittelpunkt. Trotzdem versuchte sie, gut sichtbar und langsam die Rampe hinaufzugehen. Während sie vergeblich nach ihrem Namen suchte, begegnete sie ständig den Blicken irgendwelcher Menschen, einer fremdländischer und exotischer als der andere. Als junge Singlefrau praktisch ohne jede Reiseerfahrung empfand sie diese Blicke als Belästigung, ja, sie machten ihr sogar ein wenig Angst, zumal nirgendwo ein Polizist oder ein anderer Wachposten zu sehen waren.
Ganz ruhig bleiben, sagte sie sich und hoffte, dass irgendjemand über das Getöse hinweg ihren Namen rief. Als sie am oberen Rand der Rampe ankam, war sie sich bedauerlicherweise – oder glücklicherweise – nicht sicher, ob sie schon angesprochen worden war. Da sie sich nicht durch die dahinter stehende Menschenmenge zwängen wollte, drehte sie sich um und ging genauso langsam, wie sie heraufgekommen war, wieder hinunter. Als sie an der Zollschleuse ankam, hatte entweder niemand ihren Namen gerufen oder sie hatte es nicht gehört.
Sie wollte gerade wieder in den Ankunftsterminal zurückgehen, um sich nach einem Informationsschalter für Hotels zu erkundigen, da flog die Tür auf und ein junger Mann kam herausgestürmt. Seine Gepäckträgeruniform war noch eine Spur unordentlicher als die der Zollbeamten. Er wirkte eher wie ein Student, und seine Uniform war nicht nur zerfleddert, sondern auch viel zu groß. Er schob einen Gepäckwagen mit einem riesigen Kofferberg vor sich her und hatte schon vor der Tür ordentlich Schwung geholt, um die Rampe zu bewältigen. Daher stieß er jetzt um ein Haar mit Jennifer zusammen.
»Ich bitte um Verzeihung«, rief er und brachte sein Gefährt mit einiger Mühe zum Stillstand.
Jennifer trat beiseite. »Meine Schuld. Eine Eingangstür ist eben nicht zum Rausgehen gedacht. Können Sie mir vielleicht sagen, ob es hier irgendwo einen Informationsschalter gibt? Eigentlich wollte mich jemand vom Hotel abholen, aber ich weiß nicht, wo.«
»Von welchem Hotel?«
»Dem Amal Palace.«
Der Gepäckträger pfiff durch die Zähne. »Wenn Sie vom Amal Palace Hotel abgeholt werden sollen, dann ist garantiert auch jemand hier.«
»Aber wo?«
»Gehen Sie die Rampe hoch und dann rechts. Dort ungefähr müssten etliche Leute vom Amal Palace Hotel stehen. Sie tragen dunkelblaue Uniformen.«
Jennifer bedankte sich und schob sich erneut die Rampe hinauf. Sie hatte zwar immer noch Hemmungen, sich durch die Menge zu quetschen, aber sie zwang sich dazu, und genau wie der Gepäckträger gesagt hatte, entdeckte sie das Begrüßungskomitee des Amal Palace Hotel in all seiner sorgfältig gebügelten Pracht. Jennifer fand es zwar etwas merkwürdig, dass sie sich keinen besseren Platz ausgesucht hatten, doch dann sprach sie den Mann an, der eine Kreidetafel mit ihrem Namen in der Hand hielt. Er hieß Nitin und nahm ihr das Gepäck ab. Bevor er sie aus dem Terminalgebäude führte, rief er per Handy einen gewissen Rajiv an, der sie fahren sollte. Freundlich plaudernd gingen sie los.
Als sie draußen am Bordstein auf Rajiv warteten, registrierte Jennifer erneut den schweren, nebelartigen Schleier, der über der ganzen Gegend hing und jeder Straßenlampe und jedem Autoscheinwerfer einen großen Lichthof verlieh. Genau das hatte sie auch schon vom Flugzeug aus
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