Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
besser seien als die im gesamten Westen, haben gestern Abend kurz nach 21 Uhr Ortszeit einen erneuten Dämpfer erhalten, als Mr Herbert Benfatti aus Baltimore, Maryland, wie bereits gemeldet, einem Herzinfarkt zum Opfer gefallen ist. Dieser tragische Zwischenfall ereignete sich ungefähr zwölf Stunden nach einer an sich unkomplizierten Kniegelenksplastik. Mr Benfatti hatte zwar bereits früher einmal unter Herzrhythmusstörungen gelitten, war aber bei guter Gesundheit, und auch das Angiogramm, das im letzten Monat zur Vorbereitung auf die Operation durchgeführt wurde, war vollkommen normal. Nach Angaben unserer Quelle sind solche Todesfälle in indischen Privatkliniken keine Seltenheit. Aber bis jetzt ist es den indischen Behörden gelungen, dafür zu sorgen, dass keine entsprechenden Informationen nach außen dringen. Unsere Quelle hat erklärt, dass sie weiterhin sowohl über zukünftige als auch über Todesfälle aus der Vergangenheit berichten will, damit potenzielle Operationspatienten eine informierte Entscheidung treffen können, ob sie dieses Risiko tatsächlich eingehen wollen, nur um ein paar Dollar zu sparen. CNN wird selbstverständlich jede dieser Informationen unverzüglich an Sie weitergeben. Doch wenden wir uns jetzt …«
Jennifers erste Reaktion bestand in Mitleid für Benfattis Angehörige. Hoffentlich hatten sie die tragische Nachricht nicht ebenfalls übers Fernsehen erhalten. Aber sie dachte auch an die Klinik. Zwei unerwartete Todesfälle im Anschluss an eine Operation, und das an zwei Tagen hintereinander, das war auf jeden Fall viel zu viel. Höchstwahrscheinlich, und das war besonders bitter, wären beide Tode zu verhindern gewesen. Sie fragte sich, ob Mr Benfatti verheiratet gewesen war, und wenn ja, ob Mrs Benfatti in Indien und womöglich sogar im selben Hotel untergebracht war wie sie. Vielleicht wäre es ja sogar gut, falls es tatsächlich eine Mrs Benfatti gab, wenn sie ihr persönlich das Beileid aussprach – vorausgesetzt, sie brachte den Mut dazu auf. Jennifer wollte die nächsten Angehörigen unter gar keinen Umständen irgendwie belästigen, aber andererseits konnte sie durch die noch längst nicht abgeschlossenen Erfahrungen mit dem Tod ihrer Großmutter vermutlich besser mitfühlen als alle anderen.
Kapitel 10
Mittwoch, 17. Oktober 2007
8.31 Uhr
Neu-Delhi, Indien
J ennifer stieg aus der schwarzen Mercedes-Limousine, die das Queen Victoria Hospital ihr ins Amal Palace Hotel geschickt hatte. Draußen war es warm, aber nicht heiß. Die matte Morgensonne bemühte sich zwar, den Nebel zu durchdringen, spiegelte sich jedoch nur als schwacher Schimmer in der Klinikfassade. Jennifer musste nicht einmal schützend die Hand vor die Augen legen, um sie zu betrachten. Das Krankenhaus besaß fünf Stockwerke, und trotz des kalten, ultramodernen Erscheinungsbildes gefiel ihr die angenehme Kombination aus kupferfarbenem Glas und Marmor in Komplementärfarben. Was den Kontrast besonders deutlich werden ließ, war die Umgebung. Das auffallend kostspielige Gebäude stand direkt neben einem unglaublich heruntergekommenen, zwar weiß gestrichenen, aber über und über fleckigen, unscheinbaren Betonblock, der eine Ansammlung kleiner Läden beherbergte, in denen von Pepsi bis zu einfachen Waschzubern alles Erdenkliche angeboten wurde. Die Straße war mit Schlaglöchern und allem möglichen Unrat übersät. Dazu kamen noch die Kühe, die sich von dem erdrückenden Verkehr und den dröhnenden Hupen nicht im Geringsten aus der Ruhe bringen ließen. Wie Jennifer erwartet hatte, war der Verkehr um diese Uhrzeit noch schlimmer als gestern Abend. Es schienen zwar weniger kunterbunte, verbeulte Lastwagen unterwegs zu sein, aber dafür gab es sehr viel mehr überfüllte Busse, Fahrradrikschas, Fahrräder, Fußgänger und – was Jennifer besonders verstörte – ganze Gruppen kleiner Kinder ohne Schuhe und in schmutzigen Lumpen. Etliche waren behindert, andere krank oder unterernährt, aber trotzdem huschten sie zwischen den Fahrzeugen hin und her und bettelten um Kleingeld, obwohl es sehr gefährlich war. Als wäre das noch nicht genug, gab es ein paar Hauseingänge von der Klinik entfernt auf der anderen Straßenseite ein unbebautes Grundstück, auf dem Betonbrocken, Erde, Steine, alle Arten von Müll sowie Haushaltsabfälle herumlagen. Trotzdem lebten dort zahlreiche Familien. Ihre Hütten bestanden aus rostigen Metallstücken, Kartons und Stofffetzen. Ein paar streunende Hunde sowie
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