Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
habe sie aber so verstanden, dass diese Besucherin nicht in erster Linie als Kriminalpathologin hierherkommt. Wir sollten also keine voreiligen Schlüsse ziehen.«
Rajish lehnte sich mitsamt seinem Stuhl zurück, bis sein Blick direkt an die Zimmerdecke gerichtet war. »Was habe ich bloß verbrochen, dass ich solche Schwierigkeiten bekommen muss? Ich versuche doch lediglich, die ganze Angelegenheit von den Medien fernzuhalten … abgesehen von diesen CNN-Berichten.«
»Diesbezüglich ist bislang alles ruhig. Wir haben weder gestern noch heute Besuch von irgendwelchen Journalisten bekommen.«
»Dank sei den Göttern auch für kleine Gaben, aber das kann sich jeden Augenblick ändern, besonders jetzt, wo wir es mit zwei Toten zu tun haben.«
»Ms Hernandez mischt sich unter Umständen auch in den zweiten Fall ein.«
Unter lautem Quietschen ließ sich Rajish nach vorne kippen und starrte Kashmira mit offenem Mund an. »Wie denn das?«
»Irgendwie hat sie die Bekanntschaft der Witwe gemacht. Lucinda Benfatti hat mich gerade eben angerufen und noch einmal betont, dass der Leichnam ihres Mannes nicht angerührt werden soll, bevor ihre Söhne am Freitag hier eintreffen. Das hat sie ja auch schon gestern Abend gesagt, aber da waren wir noch guter Hoffnung, dass sie ihre Meinung vielleicht heute nach einem erneuten Gespräch ändert. Keine Chance. Sie hat sogar von Ms Hernandez’ Pathologen-Freunden gesprochen und dass sie sich bei ihr bereits erkundigt hat, ob ihre Freunde sich auch mit dem Fall ihres Mannes beschäftigen könnten. Das wäre bestimmt ein gefundenes Fressen für die Medien.«
Rajish hieb mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. Etliche Briefe, die darauf warteten, gelesen zu werden, flogen in die Luft. »Diese Frau ist eine Plage, und jetzt steckt sie mit ihrer Sturheit auch noch andere an. Ich fürchte, die Lage spitzt sich immer weiter zu, und wir haben sie nicht länger unter Kontrolle. Die meisten Trauernden sind doch viel zu sehr mit ihren Gefühlen beschäftigt, um irgendwelchen Ärger zu machen. Was ist denn mit dieser Hernandez bloß los?«
»Wie gesagt, sie ist starrsinnig«, meinte Kashmira zustimmend.
»Ist sie spirituell veranlagt?«
»Ich habe keine Ahnung. Sie hat nichts gesagt, was dafür oder dagegen sprechen könnte. Warum fragen Sie?«
»Ich habe nur gedacht, falls sie spirituell veranlagt wäre, dann könnten wir sie vielleicht mit dem Leichnam ihrer Großmutter ködern.«
»Wie denn das?«
»Wir könnten ihr anbieten, ihn an den weltberühmten Ghats von Varanasi zu verbrennen und die Asche anschließend in den Ganges zu streuen.«
»Aber das ist ein Privileg, das ausschließlich Hindus vorbehalten ist.«
Rajish machte eine Handbewegung, als wollte er eine lästige Fliege vertreiben. »Mit einer kleinen Spende an die Brahmanen der Ghats von Varanasi wäre dieses Problem schnell gelöst. Vielleicht würde Ms Hernandez sich in Versuchung führen lassen. Wir könnten es als zusätzliche Gefälligkeit für die Verstorbene darstellen. Und das gleiche Angebot könnten wir auch Mrs Benfatti machen.«
»Da bin ich nicht sehr zuversichtlich«, sagte Kashmira. »Ich habe nicht den Eindruck, als wären die beiden besonders religiös, und eine Bestattung in Varanasi hat nur für Hindus eine wirklich tiefe Bedeutung. Aber ich werde es trotzdem versuchen. Ms Hernandez hat selbst gesagt, dass sie ihre Meinung möglicherweise ändert, wenn sie ausgeschlafen hat. Sie ist erschöpft und leidet unter den Nachwirkungen des Jetlags. Vielleicht wäre ein solches Angebot ja tatsächlich der entscheidende Anstoß.«
»Wir müssen diese Leichen aus dem Cafeteria-Kühlraum entfernen«, betonte Rajish. »Besonders jetzt, wo die Klinik unter besonderer Beobachtung der Joint Commission International steht. Wir können uns nicht erlauben, nur wegen eines solch belanglosen Verstoßes gegen die Vorschriften unsere Zulassung zu verlieren. Ich werde in der Zwischenzeit Ramesh Srivastava zurückrufen und ihm berichten, dass uns diese Hernandez ganz besonders zu schaffen macht.«
»Ich habe mein Möglichstes getan, das versichere ich Ihnen. Ich habe sie sehr direkt angesprochen. Viel direkter als die Angehörigen, mit denen ich bisher zu tun hatte.«
»Das weiß ich. Das Problem ist, dass wir nur über begrenzte Möglichkeiten verfügen. Das ist bei jemandem wie Ramesh Srivastava natürlich ganz anders. Er hat das gesamte Gewicht der indischen Bürokratie hinter sich. Wenn er wollte, dann könnte er
Weitere Kostenlose Bücher